«Sie können Ihr Publikum qualitativ einwandfrei zu Tode langweilen»

«Wenn wir unsere Jobs sichern wollen, müssen wir unsere Jobs verdammt gut machen», sagt Philipp Landmark. Der Chefredaktor des St. Galler Tagblatts über das tiefe Misstrauen, das die aktuelle Mediendebatte prägt, und subjektive Definitionen von Qualität. «Von der Deutungshoheit über Medien-Qualität» – eine Rede aus Anlass des 100-Jahr-Jubiläums des Schaffhauser Pressevereins.
Philipp Landmark, St. Galler Tagblatt 

Sie sind systemrelevant, steht in einer schönen Beilage zum hundertjährigen Bestehen des Pressevereins Schaffhausen. Systemrelevant! Ich hoffe, sie können damit umgehen und das belastet sie nicht allzu sehr, wir wollen ja einen unbeschwerten Abend miteinander verbringen. Systemrelevant. Hätten sie das geahnt, damals, als sie zum ersten Mal ein Blatt Papier in die Schreibmaschine einspannten, um einen Artikel zu schreiben? Eigentlich: Ja, wir haben es wohl geahnt, nur gab es diesen und andere bedeutungsschwere Begriffe noch nicht. Aber dass wir Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich zu einer besseren Welt beitragen, das wussten wir. Und als dann die Presse als „Bannwald der Demokratie“ bezeichnet wurde, sahen wir uns bestätigt.

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Heute wird diese Debatte wieder geführt, und ich meine: Abgehobener und gehässiger denn je. Fast so, wie die weniger als 150 akkreditierte Bundeshausjournalisten etwa 800 bundesbesoldeten PR-Soldaten gegenüberstehen, wird diese Debatte kaum von Journalisten und noch weniger von Verlegern geprägt: Die Deutungshoheit reissen Medienwissenschafter, Medienexperten, medienkritische Blogger und gelegentlich mässig informierte Politiker gerne an sich.

Tenor von Exponenten wie Professor Kurt Imhof, dem Leiter des Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) der Universität Zürich und Vater des Jahrbuchs über die Qualität der Medien: Die Medien als wichtigster (!) Service public in der Demokratie kommen dieser Aufgabe nur noch ungenügend nach. Vielmehr versuchen sie, sinkenden Auflagen mit „Personalisierung und Empörungsbewirtschaftung“ entgegen zu wirken und verlieren darob ihre staatstragende Aufgabe aus den Augen. 

Tatsächlich ist es ja so, dass die grossen Schweizer Medienhäuser zwar ganz ordentlich rentieren, in ganz naher Zukunft die Ertragsaussichten im angestammten Geschäft aber alles andere als rosig sind – und die Ertragsaussichten in der neuen, digitalen Welt zumindest sehr nebulös scheinen.

Tatsächlich ist es auch so, dass in unserem traditionellen Journalisten-Handwerk Sparprogramme bekannter sind als Redaktionsstatute. Tatsache ist aber auch: Noch nie konnten sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes so ausführlich und so vertieft über etwas informieren wie heute.  

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Die Zeitungen wurden einige hundert Jahre vor dem iPad erfunden und haben im Laufe ihres Lebens ihre ursprüngliche Funktion als Nachrichtenüberbringer verloren. Schon mit dem Aufkommen von Radio und Fernsehen war das ein Stück weit so. Das Internet hat die ganze Ordnung vollends auf den Kopf gestellt, weil nun jeder Bürger ohne nennenswerten Aufwand selbst Nachrichtenquelle sein kann. Die hohe Eintrittsbarriere, um Nachrichten zu verbreiten, ist Geschichte. Dadurch wird die Gatekeeper-Funktion der klassischen Medien in Frage gestellt.

Was in der unendlichen Vielfalt der Informationsmöglichkeiten zuerst unter die Räder kommt, ist der Blick auf das Wesentliche. Und genau darum glaube ich, dass Journalismus Zukunft hat: Die Gesellschaft braucht weiterhin kompetente Dienstleister, die Unwichtiges von Wichtigem scheiden, Nachrichten auf ihre Relevanz und Plausibilität hin prüfen, hinterfragen, aufbereiten und einordnen. Hier liegt eine ganz grosse Chance der klassischen Medienhäuser. Nicht nur verfügen sie als einzige über genügend Know-how und meistens nach wie vor genügend Ressourcen; sie geniessen auch hohes Vertrauen.

Dazu möchte ich auf eine Studie hinweisen, die HSG-Studentin Vanessa Hitz 2010 unter neu eintretenden Studentinnen und Studenten durchführte.
Zwei wesentliche Aussagen dieser Studie:
–  Wenn junge Leute unter gleichzeitig verfügbaren, verschiedenen Kanälen eines Medienhaus wählen können, lesen sie eine Zeitung aus Papier.
–  Wenn sie kontroverse Meldungen vernehmen, vertrauen sie im Zweifelsfall der klassischen Zeitung oder einer News-Site aus einem traditionellen Haus.
Dieses Vertrauen muss sich allerdings auch in Zukunft in Franken und Rappen auszahlen, um genügend Kompetenz im Haus vereinen zu können, um wiederum das Vertrauen zu rechtfertigen…

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Die aktuelle Mediendebatte wird geprägt durch ein tiefes Misstrauen. Der vernehmbare Teil der Medienwissenschaft hantiert mit anfechtbarer Methodik und verstaubten Idealen, um den Qualitätszerfall der Medien zu untermauern. Gemeint sind mit den Pauschalurteilen gerne auch Zeitungen, die gar nie untersucht wurden.
Würde man die Diagnose ohne Vorurteile stellen, müsste man bemerken, dass die meisten Zeitungen wohl weniger Personal haben als zu den ertragstärksten goldenen Zeiten der letzten Jahrzehnte. Viele – nicht alle – Titel sind inhaltlich aber schlicht besser, vielfältiger, spannender und informativer als noch vor wenigen Jahren.

Wir sind sogar gezwungen, die Qualität zu steigern, „weil der Wettbewerb um die Zeit der Leute zugenommen hat“ – das sagt einer, der rechnen kann: Pietro Supino, Verleger der Tamedia. Ja, natürlich war es schon gemütlicher und lustiger in Redaktionen als heute. Und ja, Effizienz ist in Bezug auf journalistische Inhalte eine höchst zwiespältige Qualität. Selbstverständlich wird heute in jeder Regionalzeitung eine Geschichte gekonnt zugespitzt.

Die uralte Binsenwahrheit „gedruckt ist noch lange nicht gelesen“ hat – nicht zuletzt dank den ernüchternden Erkenntnissen von Mister Readerscan Carlo Imboden – wohl die hinterste und letzte Redaktion dieses Landes erreicht. Nicht aber die Medienwissenschaft: Da wird zum Teil ein Bild von Inhaltsvermittlung kultiviert, das an Volkshochschul-Vorlesungen erinnert. 

Während die einen Weisen also das Rad zurückdrehen möchten, wird von den anderen Weisen festgestellt, dass traditionelle Medien sowieso nicht zu retten sind: Gemäss einer von Ross Dawson (Future Exploratioan Network) erstellten  „Newspaper Extinction Timeline“ sterben Zeitungen umso schneller aus, desto entwickelter eine Region ist. Die Schweiz ist im Jahre 2025 fällig.

Allerdings muss man auch ergänzen, das diese Studie diese plakativen Erkenntnisse unter der Annahme traf, das sich die Zeitungen nicht verändern. Genau das aber tun Zeitungen sei je her: Sie haben sich immer den Informations-, Lese und Sehgewohnheiten ihrer Kunden angepasst.

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Eigentlich könnte man über diese Debatte schmunzeln oder sich einfach darüber freuen, das sich überhaupt jemand für uns interessiert. Diese Debatte kann aber weitreichende Konsequenzen für uns alle haben. Der schleichende Auflagenverlust, der wie ein Naturgesetzt praktisch alle Zeitungen der westlichen Welt erfasst hat, und das Abwandern von Werbebudgets in neue Medien bedroht auch jetzt noch hochrentable Medienhäuser existentiell.  Das hat auch die Politik erkannt, und deshalb stehen neuen Formen der Presseförderung zur Diskussion.

Hier droht nun eine fatale Verquickung: Wenn die staatlich finanzierte Medienwissenschaft die Qualität der Medien anzweifelt, braucht es nicht mehr viel, bis der regulierungsfreudige Teil der Politik sich dieser Qualität annimmt: Die Medien bekämen dann Geld, wenn sie staatliche Qualitätskriterien erfüllen. Spätestens dann beisst sich die Katze in den Schwanz.

Die für das Funktionieren der Demokratie wichtigen Medien werden vom Staat umarmt – die idealistisch gerne als „vierte Staatsgewalt“ bezeichnete Funktion der Medien würde so freilich abgewürgt. Die mit Abstand wichtigste Qualität der Medien ist Unabhängigkeit vom Staat!  So sehr wir mehr Mittel für unsere Tätigkeit brauchen würden – wir dürfen diese Unabhängigkeit nicht für irgendwelche Formen einer direkten Presseförderung preisgeben. 

Nochmal: Wir müssen wirklich verhindern, dass unter dem Titel Presseförderung und Schlagworten wie „die Medien dem Markt entziehen“ unsere Medien unter die Fuchtel der staatlichen Verwaltung kommen. Deshalb müssen wir uns dafür einsetzen, dass – willkommene – Bestrebungen, der Branche zu helfen, auf Kanäle der Indirekten Presseförderung gelenkt werden. Inhalte eines Mediums können nicht gefördert werden, weil sonst Journalisten gegenüber dem Staat gemäss irgendwelchen Qualitäts-Kriterien Rechenschaft ablegen müssen. Gefördert werden können aber Infrastrukturleistungen gemeinsamer Presseagenturen oder Leistungen in der Aus- und Weiterbildung von Journalistinnen und Journalisten. Eine nachhaltige Förderung wäre zudem eine systematische Ausbildung in Medienkompetenz in unseren Schulen.

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Wir machen uns zu recht Sorgen um erodierende Auflagen. Aber wir dürfen das nicht einfach wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange einfach hinnehmen. „The Readers are still out there!“ rief Ivar Rusdal, President European Newspapers Publisher’s Association am diesjährigen Kongress des Verbands Schweizer Medien in Lausanne den Verlegern zu. Nehmen wir diese Leserinnen und Leser ernst? Wissen wir eigentlich, was sie von uns erwarten? Die Zahlungsbereitschaft unserer Kunden wäre durchaus vorhanden, sagt Rusdal –  wenn man den Leuten etwas einzigartiges bietet.

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Guter Journalismus hat wenig mit der Darreichungsform und noch weniger mit dem Kanal zu tun. Journalismus ist eigentlich ganz banal: Rausgehen, beobachten, und beschreiben, was ist. Das kann gut oder weniger rauskommen – nie aber objektiv. Objektivität taugt nicht als Qualitätsmerkmal, denn es gibt sie nicht. Auch wenn wir einen Sachverhalt völlig wertfrei und komplett ohne Adjektive beschreiben, treffen wir zutiefst subjektive Entscheidungen: Wie viele Spalten oder wie viele Sendesekunden wird dem Thema einräumen, ja, ob wir überhaupt darüber berichten – alles subjektive Entscheidungen.

Natürlich folgen diese Entscheidungen gewissen Regeln, objektivierbar sind sie deswegen nicht. In was gründet die Regel, dass eine Verlautbarung des Regierungsrates immer berichtenswürdig ist? Darauf, dass man das in diesem Medium eben schon immer so gemacht hat?

Was tun sorgfältige Redaktorinnen und Redaktoren, wenn sie darüber brüten, wie ein Ereignis richtig abzuhandeln ist? Richtig: Sie gehen ins Archiv und schauen, wie der City-Märkt, die Kantonsratswahlen oder die Olma oder das Open Air St. Gallen beim letzten Mal abgehandelt wurden. Das Grundraster vieler journalistischer Spiegelungen von Ereignissen bleibt oft über Jahre erstaunlich konstant. Ist das verwerflich? Oder vielleicht Qualitätsjournalismus?

In der Wahrnehmung ihrer Leserinnen, Zuhörer, Zuschauerinnen hat dies durchaus Qualität. Wenn sie Ihr Publikum über Jahre erziehen, entwickelt es eine bestimmte Erwartungshaltung. Der City-Märkt bekommt soundsoviele Seiten, und darauf hat es zwingend einen Artikel über exotische Fressereien. Ihre Leser werden genau das erwartet haben. Wie lautet eigentlich die gängige Definition von Qualität? „Die Übereinstimmung von Leistungen und Ansprüchen“. Das zu Ende gedacht heisst: Sie können Ihr Publikum qualitativ einwandfrei zu Tode langweilen. Ob das ihren Job sichern wird? Ich bin überzeugt, dass das
Gegenteil richtig ist. 

Gerne zitiere ich eines der wenigen plausiblen Rezepte, wie sich die Medien ihre Zukunft sichern können, das am Verlegerkongress in Lausanne verraten wurde: „Wir dürfen die Leser nicht langweilen!“ Genützt hat dies Hansi Voigt, dem Chefredaktor von 20 Minuten online, allerdings nichts: Er wird seinen Job los, weil die Online-Reaktion von 20 Minuten mit der Print-Redaktion zusammengelegt wird. Und Tamedia die Gesamt-Führung noch dem Print-Chefredaktor anvertraut.

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Was also können wir aus dieser ganzen Qualitätsdebatte mitnehmen? Wenn wir unsere Jobs sichern wollen, müssen wir unsere Jobs verdammt gut machen. Gut machen heisst gerade in unserem Metier: Mit Lust und Begeisterung ans Werk gehen. Wenn es Ihnen schon stinkt, einen Text zu basteln, dann können sie nicht erwarten, dass Ihre Leser den Text nachher spannend finden…

Gerade auf dem Platz Schaffhausen finden wir noch ein Terrain vor, auf dem sich lustvoll Journalismus betreiben lässt. Eine einigermassen intakte Medienwelt: Schätzen sie sich glücklich, dass Sie nach wie vor eine Tageszeitung haben, für die Schaffhausen der Nabel der Welt ist – und dass Sie weitere Medien haben, die den Kolleginnen und Kollegen von der Vordergasse 58 auf die Finger schauen und gelegentlich mal ans Schienbein treten. Eine gute sportliche Auseinandersetzung verträgt auch mal ein normales Foul, es gibt keinen Grund, mimosenhaft zu tun.

Führen sie diese Kontroverse, locken Sie sich gegenseitig aus dem Busch. Aber denken sie stets daran, das Sie das nicht um ihrer selbst Willen tun: Alles, was davon über den Sender geht, im Internet zu finden ist oder gedruckt wird, sollte die Menschen in der Region tatsächlich interessieren. Erfüllt etwas dieses Kriterium nicht, klären sie die Sache mit den Kollegen beim Bier, das reicht.

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(Die Rede hielt Philipp Landmark anlässlich der Feier zum 100-Jahr-Jubiläum des Schaffhauser Pressevereins am 28. September 2012.) Download des Textes als PDF…

  1. Medienkritik muss fair sein

    Vorweg:
    Beim publizierten Text handelt es sich um das Manuskript einer Festansprache, die verschiedene Themen streifte. Selbstverständlich gibt es da und dort mehr zu sagen zur Qualität des Journalismus. Ich hoffe, wir alle werden dazu noch häufig Gelegenheit haben.

    Und noch einmal ganz grundsätzlich: Ich habe nichts gegen Medienkritik, und ich habe sie deshalb auch nicht zurückgewiesen. Sicher wäre ich auch nicht der einzige, der sich z.B. am Kongress der Schweizer Medien auch eine kontroverse Debatte mit Exponenten der Medienwissenschaft vorstellen kann.

    Gegen eine Fremdbeobachtung ist nichts einzuwenden – wenn sie denn tatsächlich auf einer Beobachtung basiert. Was ich zurückweise, sind pauschalisierte Diagnosen. Wenn Wahrnehmungen bei einzelnen Titeln auf eine ganze Mediengattung hochgerechnet werden, ist das unseriös und verzerrend.

    Wir stellen uns nicht nur täglich der Kritik unserer Leserinnen und Leser, wir kennen im „Tagblatt“ seit Jahren die vom damaligen Chefredaktor Gottlieb F. Höpli ins Leben gerufene Institution des aussenstehenden Merkers. In diese Rolle teilen sich momentan zwei bestandene Journalisten, die uns gerne mal heftig an den Karren fahren. Diese Aussensicht wird monatlich im Blatt öffentlich gemacht: Wir stellen uns also durchaus der Kritik; wir können damit umgehen, wenn sie hart, aber eben auch fair ist. Fair bedeutet in diesem Fall: Die Merker haben für gewöhnlich die Zeitung gelesen, die sie kritisieren.

    Kurt Imhof schreibt in seinem Kommentar, es sei klar, dass ausgedünnte Redaktionen weniger Einordnung schaffen. Genau gegen solche allgemeingültig formulierte Feststellung wehre ich mich.

    Zuerst müssten wir dabei einmal über die Messkriterien streiten: Wann ist eine Redaktion „ausgedünnt“? Es stimmt: Die meisten Zeitungen hatten während einiger Jahre mehr redaktionelles Personal als heute. Sie hatten aber in ihrer oft mehrhundertjährigen Geschichte meistens deutlich kleinere Redaktionen. Wer bestimmt also die richtige Grösse einer Redaktion?

    Die bezahlbare Grösse ist meistens nicht mehr der historische Höchstwert. Das darf man bedauern, man darf aber nicht daraus schliessen, dass deshalb nun alles einfach schlechter geworden ist. Eine spannende Aufgabe für die Medienwissenschaft wäre es, einmal zu untersuchen, wo wieviel – und vor allem: wie – gespart wurde.

    Bei uns jedenfalls wurde nicht einfach im journalistischen Kerngeschäft gespart. Vielmehr wurden zuerst Sonderseiten gestrichen oder Ressorts aufgelöst, an die sich heute kaum noch jemand erinnert. Schmerzhaftere Schritte gab es auch, aber in einem vertretbaren Mass. Voraus ging selbstverständlich eine Diskussion, was denn überhaupt unser journalistisches Kerngeschäft ist. Eine Frage, die sich jedes Medium immer wieder stellen sollte – um aus den Antworten die individuell richtigen Schlüsse zu ziehen. Und dann kann es eben vorkommen, dass trotz Sparprogrammen zentrale Teile eines Produktes sogar noch gestärkt werden. Das ist in meiner Wahrnehmung bei etlichen Schweizer Zeitungen passiert, darum sind sie „besser, vielfältiger, spannender und informativer als noch vor wenigen Jahren.“

    (Damit jetzt nicht wieder Missverständnisse entstehen: Auch ich bin kein Freund von Sparmassnahmen. Selbstverständlich würde ich mir die Finger lecken, wenn ich zusätzliche Ressourcen einsetzen könnte, und selbstverständlich könnten wir dann da und dort noch etwas besser machen.)

    Zur Qualität des Inhalts: Wer Kurt Imhof schon live erlebt hat, weiss, dass er nicht Gefahr läuft, sein Publikum zu Tode zu langweilen. Weil er seine Inhalte nicht knochentrocken und professoral herunterbetet. Dieses Recht soll auch Journalisten zugestanden werden. Sie müssen relevante und oft komplexe Fragestellungen verständlich und eben auch spannend darstellen. Das klingt dann vielleicht anders als vor 30 Jahren, dafür wird es überhaupt wahrgenommen.

    Meine Aussage zur Publikums-Erziehung wurde wohl missverstanden. Gemeint ist, dass sich die Leserschaft rasch an das ihr Vorgesetzte gewöhnt und das als „normal“ anschaut. Deshalb schneidet – egal wo – der Status Quo in Leserbefragungen immer relativ gut ab: Die Erwartungshaltung der Leser bewegt sich im Bereich des Üblichen. Die einfallslose, stete Repetition erfüllt wohl diese Erwartung, langweilt den Empfänger aber auch – und ist kein journalistisches Ruhmesblatt. Der Leser würde es durchaus schätzen, wenn seine Erwartung dann und wann nicht erfüllt wird. Sondern übertroffen.

    Vinzenz Wyss wiederum meint in seinem Kommentar, ich könne nur „weltwöchlerisch“ zwischen staatlicher und marktlicher Medienförderung unterscheiden. Das steht freilich nicht in meinem Text. Ich unterscheide zwischen direkter und indirekter Förderung, beides sind grundsätzlich staatliche Massnahmen, aber mit unterschiedlichen Konsequenzen für unabhängigen, eben auch staatskritischen Journalismus. Ich bin überzeugt davon, dass Inhalte nicht direkt gefördert werden dürfen, weil unerwünschte Abhängigkeiten entstehen.

    Genau das würde übrigens auch im von Wyss empfohlenen Aufsatz (http://tinyurl.com/965fgcm) geschehen. Der gesuchte „dritte Weg“, der hier in der Trennung von Journalismus und Medien gesucht wird, versandet bei der Unterstützung „förderungswürdiger Redaktionen“. Es müsste also explizit wieder eine (“geboten staatsferne“) Institution zuhanden des Staates darüber entscheiden, welche Journalisten-Kollektive förderungswürdigen Inhalt herstellen. (Ich selbst käme da vermutlich nicht in Betracht, Wyss beurteilt mein Manuskript ja gleichzeitig „unerträglich unterkomplex“ und „holprig“.)

  2. Der Chefredaktor Philipp Landmark spricht in diesem – etwas  holprigen – Referat wichtige Fragen dieser Zeit an. Ich möchte auf zwei Aussagen reagieren, weil sie mir so unerträglich unterkomplex begegnen. Zunächst ist es gut, dass in der Rede vor Journalisten unter dem Titel «Von der Deutungshoheit über Medien-Qualität» auch die Frage der Journalismusfinanzierung angesprochen wird. Ein Thema, mit dem sich die Berufskultur noch aktiv beschäftigen müssen wird, will sie nicht ganz zur Marionette werden – in Zeiten in denen tatsächlich „Sparprogramme bekannter sind als Redaktionsstatute“. Enttäuschen ist, dass Philipp Landmarkt – fast schon weltwöchlerisch – nur zwischen marktlich und staatlich zu unterschieden vermag. Da gibt es doch nicht nur schwarz und weiss, sondern eben auch etwas komplexere Grauzonen. Es gibt keine ernsthaften Positionen, die eine „staatliche Förderung“ nach „staatlichen Qualitätskriterien“ einfordert. Keiner will das. Es ist schon fast böswillig, wer das immer wieder unterstellt.

    Es ist ja gerade die von Philipp Landmark immer wieder mal genervt verunglimpfte Medienwissenschaft, die etwas komplexere Fördermodelle zur Diskussion stellt Zum Beispiel Kiefer 2011 in diesem Aufsatz: http://www.m-und-k.nomos.de/fileadmin/muk/doc/Aufsatz_MuK_11_01.pdf Wer mitreden will, sollte auch mal lesen. Intelligente Vorschläge jenseits von Staats- und Markt-Versagen sind immer willkommen. Man sollte dann aber auch was zu sagen haben, das über die fast schon zynische Feststellung hinausgeht, dass Journalisten halt mit Lust und Begeisterung ans Werk gehen sollten. Es ist also die von Philipp Landmark enerviert disqualifizierte wissenschaftliche Medienbeobachtung und Medienkritik, die entsprechende Modelle zur Diskussion stellt. Medienkritik ist relevant! Als Fremdbeobachtung zwingt sie die Medien zur Selbstbeobachtung. Wir brauchen die wissenschaftliche Medienkritik als eine Stimme im Wirrwarr vieler anderer. Sie sollte gerade angesichts der Ernsthaftigkeit der von Philipp Landmark angesprochenen Fragen nicht genervt zurückgewiesen werden, nur weil dadurch die Auseinandersetzung mit sich selbst unangenehm und vielleicht auch etwas anstrengend weil anspruchsvoll wird.

  3. Verpatzte Kritik an der Medienkritik

     

    Es irritiert mich immer, wenn wichtige und interessante Medienleute ihr Reflexionsniveau beim Thema Medienkritik unterlaufen (ich bekenne mich als Twitter-Follower von Philipp Landmark). Dabei handelt es sich regelmässig um die Kombination von mangelnder Kenntnisnahme, unziemlicher Verve und generalisierenden Sidekicks ohne Begründung und Adressat („anfechtbare Methodik“, „verstaubte Ideale“, es werde ein „Bild von Inhaltsvermittlung kultiviert, das an Volkshochschul-Vorlesungen“ erinnere und es wird insinuiert „Objektivität“ würde gemessen, …). Man kann auch nicht argumentieren wollen.

     

    Bei seiner Verve gegen die Medienkritik hat dafür Philipp Landmark leider nicht zur Kenntnis genommen, dass sich diese von Seiten der Kommunikationswissenschaft (und dabei keineswegs nur vom Jahrbuch) und von inzwischen erstaunlich vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen auf die Sorge um adäquate Ressourcen für den Journalismus und auf die eine seiner zwei Qualitätsumschreibungen journalistischer Arbeit konzentriert: „… Unwichtiges von Wichtigem scheiden, Nachrichten auf ihre Relevanz und Plausibilität hin prüfen, hinterfragen, aufbereiten und einordnen.“

     

    Es handelt sich um eine sehr knappe Definition des Informationsjournalismus, man könnte neben Relevanz, Plausibilität und hinterfragender Einordnung in inhaltlicher Hinsicht etwa noch Vielfalt, Quellentransparenz und Aktualität benennen, aber egal. Nicht egal ist, dass sich dies nicht absolut messen, aber vergleichen lässt. Und zwar in der und über die Zeit. Vergleichen lässt sich deshalb auch, ob die Zeitungen besser geworden sind, um auf Philipp Landmarks Wiederholung des bekannten Arguments von Pietro Supino einzugehen. Es lautet wie folgt: Früher war man in den Redaktionen zahlreich, fröhlich und faul, heute sei man „schlicht besser, vielfältiger, spannender und informativer als noch vor wenigen Jahren“. Wie bei Pietro Supino ist freilich nicht klar, woran dabei eigentlich gedacht wird.

     

    Wenn man Philipp Landmarks obige Definition nimmt, dann ist freilich klar, dass die durch Sparprogramme ausgedünnten Redaktionen (in der Tat eine Branche in der „Sparprogramme bekannter sind als Redaktionsstatute“) weniger Einordnung schaffen – also gerade weniger „hinterfragen“ und „aufbereiten“, dass entsprechend das Episodische zugenommen hat, genau so wie der Human Interest. Das macht die Zeitungen gleicher und nicht einzigartiger und nach allgemeinem Sprachverständnis keineswegs „besser, vielfältiger, spannender und informativer als noch vor wenigen Jahren“. Das hat leider etwas mit Ressourcen zu tun und es hat leider auch etwas mit der zweiten Qualitätsdefinition von Philipp Landmark in seinem Vortrag zu tun. Sie lautet schlicht: „Die Übereinstimmung von Leistung und Ansprüchen“. Das will Philipp Landmark über zwei Pfade erreichen. Zum einen durch Publikumserziehung: „Wenn sie Ihr Publikum über Jahre erziehen, entwickelt es eine bestimmte Erwartungshaltung.“ Zum anderen und weit prominenter rekurriert er an dieser Stelle jedoch auf etwas ganz anderes: Er bezieht sich auf Titel und These seines Vortrages und auf Hansi Voigt: Er möchte das Publikum nicht „zu Tode langweilen“ und setzt „zu Ende gedacht“ journalistische Qualitätsorientierung damit gleich. Hier hat der Chefredaktor des St. Galler Tagblattes der NZZ Gruppe wohl die 20 Minuten-Angebote im Auge und damit eine über Feedback-Schleifen gesteuerte Medien-und-Publikums-Erziehung, dessen Produkt niemand – auch Hansi Voigt nicht – als Qualitätsjournalismus begreift. Vielmehr ist das Gegenteil richtig: Spannender und guter Journalismus soll (siehe oben) „Unwichtiges von Wichtigem scheiden, Nachrichten auf ihre Relevanz und Plausibilität hin prüfen, hinterfragen, aufbereiten und einordnen“.

     

    Systemrelevant möchte er das Zeitungswesen aber trotzdem gerne sehen. So sah sich auch die Finanzindustrie und auch sie liess sich durch Kritik nicht beinflussen. Nein, sie schwang kräftig die ordnungspolitische Keule und machte die Kritik an ihr zum Problem. Genauso einfach macht es sich Philipp Landmark: Die Medienkritik sei ordnungspolitisch gefährlich, denn sie führe direkt zu staatlicher Regulation, also ist die Kritik des Teufels. Der Teufel steckte bei den Banken, wie wir wissen, zuletzt in ihren Kritikern und ausserdem: Keine mir bekannte medienkritische oder -reflexive Position will Medienqualität, so wie das Philipp Landmark darstellt, direkt über staatliche Einflussnahme regeln. So funktioniert es auch nicht beim öffentlichen Rundfunk. Dafür aber plädiert er für den Ausbau der Giesskanne, die „indirekte Presseförderung“. Ordnungspolitisch korrekt ist dies nicht.

     

    Solche Widersprüche und Ungereimtheiten bei einem wichtigen Vertreter des Informationsjournalismus zeugen davon, dass das Problem anderswo liegt: Es handelt sich keineswegs um eine „Deutungshoheit“ der Medienkritik (wo ist diese Deutungshoheit – ausgerechnet in den Medien?), das Problem ist vielmehr, dass die Medienkritik und -reflexion in den Medien und Redaktionen selbst eine marginale Rolle spielt. Die professionellen und ethischen Selbstverständnisse des Berufsfeldes erodieren in der Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung und in Abwesenheit jeglicher Medienkritiker bestätigt man sich wechselseitig am Verlegerkongress die Banalität und Lästigkeit eben dieser Kritik (http://http://www.kleinreport.ch/news/medienkongress-wir-haben-kein-qualitaetsproblem-71653.html). Es mangelt schlicht an Reflexion. Deshalb ist man hässig auf die Nestbeschmutzer und wer hässig ist, dem „stinkt“ es einen wichtigen Vortrag zu einem wichtigen Thema gut vorzubereiten.

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