50 Jahre Spiegel-Affäre

Vor 50 Jahren, 1962, wurden sieben Redaktoren des „Spiegel“ verhaftet, darunter Herausgeber Rudolf Augstein. Weil sie angeblich militärische Geheimnisse verraten hatten.

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Deutsche demonstrieren 1962 für die Pressefreiheit und gegen die Verhaftung von „Spiegel“-Redaktoren (Screenshot youtube.com)

Es fällt nicht leicht, die „Spiegel“-Titelstory „Bedingt abwehrbereit“ vom 10. Oktober 1962 zu lesen, ohne nicht ab und zu einzunicken. Die damaligen Diskussionen sind weit weg von heute: Stabsrahmenübungen, Verbände der Territorialverteidigung, Luftlandedivisionen, Raketenwerfer-Brigaden, Sputnik-Raketen, Trägermittel mit transkontinentaler Reichweite, Honest-John-Bataillone, Sergeant-Bataillone, Matador-Geschosse, Pershing-Raketen-Bataillone, Jabogeschwader, atomare Sprengkörper im unteren KT-Bereich – soweit einige Fachbegriffe, und damit sind wir noch nicht mal in der Hälfte der Story angelangt. Man könnte meinen, ein Fachblatt für Militärstrategie zu lesen, doch natürlich war der „Spiegel“ schon damals ein Massenblatt.

Die Hauptaussage des Artikels:

Die Bundeswehr hat heute – nach fast sieben Jahren deutscher Wiederbewaffnung und nach sechs Jahren Amtsführung ihres Oberbefehlshabers Strauß — noch immer die niedrigste Nato-Note: zur Abwehr bedingt geeignet.

Das dürfte der Regierung kaum gefallen haben. Doch sie witterte Geheimnisverrat und ging ziemlich rüde gegen die Zeitschrift vor. Nicht nur Herausgeber Rudolf Augstein wurde verhaftet, sondern auch einige weitere Redaktoren.

Die medienkritische NDR-Sendung „Zapp“ erinnert mit einem kurzen Film an diese Tage:

In den Schweizer Medien ist dazu kaum etwas zu finden. Ein Text findet sich in der „Aargauer Zeitung“, von Pierre Th. Braunschweig. Er schreibt:

In der Öffentlichkeit brach ein enormer Entrüstungssturm los, der Vorfall wurde von den Medien ausgiebig kommentiert. Prominente und Zeitungen aller politischen Richtungen solidarisierten sich, die Leserbriefspalten überquollen, und der «Spiegel» durfte fremde Redaktionsräume und Druckerpressen benützen. Über Wochen kam es zu Demonstrationen, Studenten skandierten «Spiegel tot – Freiheit tot» und «Augstein raus – rein mit Strauss» – kurz: Die Aktion gegen den «Spiegel» wuchs sich zur Affäre, ja zum Skandal aus.

Vielleicht sollten wir uns ab und zu mal wieder besinnen, dass es ein zivilisatorischer Fortschritt ist, wenn sich Bürger und Journalisten jederzeit kritisch gegenüber der Staatsgewalt zeigen dürfen, ohne deswegen Repressalien fürchten zu müssen. Man neigt ja gerne dazu, die aktuelle Situation als die einzig mögliche einzuschätzen.

Chronologie der Spiegel-Affäre auf spiegel.de
Dossier zur Spiegel-Affäre auf spiegel.de