Im Feuilleton der NZZ kontert Martin Meyer feinsinnig eine Beobachtung der „Basler Zeitung“. Man sollte ihn öfters über Stil schreiben lassen.
Ein Blazer, wie ihn Martin Meyer getragen haben könnte (Foto: Wikipedia/gemeinfrei)
Deutschsprachige Kulturjournalisten bevölkerten kürzlich den Monte Verità im Tessin, haufenweise Berichte über das dort stattfindende Literaturfestival „Eventi Letterari Monte Verità“ zeugen davon.
Der Abgesandte der „Basler Zeitung“, Benedict Neff, notierte in seinem Bericht den Auftritt des NZZ-Feuilletonchefs, Martin Meyer:
Der Feuilleton-Leiter der NZZ auf dem Berg der Wahrheit. Ein Mann, der nicht mit dem Volk im Shuttlebus, sondern im Privatwagen vorfährt. Krawattiert, ein Jackett mit goldenen Knöpfen, die Brille auf der Nasenspitze justiert –wie bei vielen hier –, hält er in schulmeisterlicher Manier sein stündiges Referat: Von der Aufklärung bis zur Minarett-Initiative. Die Utopie landete auf dem Boden der bürgerlichen Realität. Bevor er vom Podest stieg, sagte er, sein Skript in den Händen haltend: «Jeder Satz ist so banal, dass ich ihn gar nicht hätte vorlesen mögen. An der Reaktion sehe ich aber, dass das nicht so ist.»
Es war eine Spielart der Handke’schen Publikumsbeschimpfung aus dem Mund eines Mannes, der als eine Art distinguierter Karl Dall auftritt. Und, mit Verlaub, sein Vortrag war auch tatsächlich ziemlich banal: Eine Geschichtsstunde als Repetition für schlechte Schüler. Er nannte den «Weltbürger» eine «fiktionale Figur» bis heute. Gewissermassen ist Meyer diese fiktionale Figur des Weltbürgers, die tatsächlich unwahrscheinlich wirkt.
Ein Jackett mit goldenen Knöpfen? Nicht ganz, so kommt zum Schluss, wer den „Stilauge“ überschriebenen Text von Meyer auf Seite 41 in der heutigen NZZ bis ganz zu Ende liest:
(…) Aussenseiter ist nicht mehr der Freak, der in Jeans zur Oper strebt oder am Begräbnis der Erbtante in violettem Anorak erscheint, sondern dessen ungeliebter Bruder unter dem Verdacht des angepassten Spiessers mit Anzug und Krawatte.
Natürlich sind solche Erfahrungen milieu- und umgebungsabhängig. Doch generell geht die Rechnung schon so: Nur noch eine verstockte Bourgeoisie gibt sich zugeknöpft. So will es der Geist der Zeit. Der Negativdruck kann dabei so gross werden, dass sich ältere Herren überaus bürgerlichen Bewusstseins in eine engnahtige Lockerheit hineinzwängen, die absurd anmutet. Im Hintergrund regiert die Angst, sonst Unzugehörigkeit zu erzeugen. Für intellektuell imprägnierte Settings gilt dies ohnehin. Schnell ist aufgespürt, wer nicht im Tarngewand daherkommt. Der Outsider wird mit Stielaugen verfolgt, und nahe liegt der Verdacht, sein Denken entspreche seiner Kleidung, was immer dies dann heissen mag. Ein Jackett mit goldenen Knöpfen? Au weia. Klingt ja auch arg. Dabei hiesse das alltagstaugliche Stück ganz einfach: Blazer. Aber wer weiss das noch?
Martin Meyer weiss das noch, offenbar. Man sollte ihm wenigstens die Ferienvertretung des am 1. Mai ins Hause NZZ zurückkehrenden Stilexperten Jeroen van Rooijen überlassen.
Vermutlich, ich will ihn zu dieser vielleicht doch nicht ganz so weltentscheidenden Frage nun nicht auch noch mit einer E-Mail-Anfrage belästigen, trägt Martin Meyer einen Navy Blazer mit goldenen Knöpfen. In der Wikipedia steht dazu:
Er ist stets dunkelblau und hat zwölf goldfarbene Knöpfe, oft mit geprägtem Wappen, davon sechs grosse auf der Front. Er verfügt über eine Brust- und zwei Pattentaschen sowie zwei Seitenschlitze. Historisch geht er auf britische Marinejacken des 19. Jahrhunderts zurück.
Dagegen, so die Wikipedia, sei ein Jackett nichts weiter als ein gewöhnliches Sakko, in der Schweiz auch „Veston, Kittel oder Tschopen“ genannt.