Den Journalismus gegen seine Feinde verteidigen

In der neuen „Surprise“-Titelgeschichte ruft Christof Moser Journalisten dazu auf, den Journalismus gegen seine Feinde zu verteidigen – zu denen er auch die Medienkonzerne zählt.

Surprise

„Mit Vollgas in die Vertrauenskrise“ heisst die Titelgeschichte in der heute erscheinenden Ausgabe des Strassenmagazins „Surprise“ ab Seite 10. Für seine Story aus den „Newsfabriken“ hat der bei der „Schweiz am Sonntag“ angestellte Journalist Christof Moser mit Mitarbeitern aus den hiesigen Newsrooms gesprochen, im Fokus ist vor allem Tamedia:

«Als Qualität gilt in erster Linie Schnelligkeit, alles andere wird diesem Mass aller Dinge untergeordnet», sagt ein ehemaliger Mitarbeiter des 20 Minuten-Newsdesks, der gekündigt hat, weil er unter Journalismus etwas anderes verstanden hat als seine Chefs. «Die Nachrichtenselektion und -gewichtung hatte nichts mehr mit meinem Begriff von Relevanz zu tun – die Klickrate ist Gott.» Ein aktueller Mitarbeiter sagt: «Ich sehe 20 Minuten als Resultat der technischen Beschleunigung, in Verbindung mit dem Auftrag, Geld zu generieren, einer nur auf messbare Leistungen abzielenden Führungskultur und einer naiven Leserschaft, die sich nur allzu gerne von reisserischen Titeln anlocken lässt.» (…)

«Die Chefs, die eigentlich die Einhaltung von ethischen Leitplanken überwachen sollten, peitschten uns Journalisten zu einer regelrechten Hetzjagd an», sagt ein Newsdesk-Mitarbeiter, der den Mechanismen des Onlinejournalismus seither «kritisch» gegenübersteht. «Ethische Bedenken», erzählt er, «sind mit dem Hinweis weggewischt worden, damit schmälere man nur die Reichweite.» Ähnlich beschreiben auch Journalisten anderer Onlinemedien die Situation. «Es dominiert die Angst, langsamer zu sein als eines der anderen Newsportale. Das hat sich zu einer Art Rausch der Geschwindigkeit entwickelt», sagt zum Beispiel ein Mitarbeiter von tagesanzeiger.ch/Newsnet. «Die Reflexion bleibt nicht nur auf der Strecke, sie ist sogar unerwünscht – weil sie zu viel Zeit kostet», sagt ein anderer, der beim Tages-Anzeiger inzwischen gekündigt hat. «Diskussionen über Themen und Artikel finden kaum oder gar nicht statt.»

Das Problem ortet Moser aber nicht bei den Journalisten, sondern eine Stufe darüber:

«Die meisten möchten einen guten Job machen und wären auch fähig dazu», sagt ein Newsnet-Journalist. Das Problem sei auf Stufe Verlag und Chefredaktion zu finden, «die beide rein ökonomisch denken und die unteren Chargen durch den viel zu engen Korridor der Reichweite jagen».

Der Fehler der Journalisten sei es allerdings, „dass sie sich nicht entschieden und öffentlich gegen das kaputte System stellen, in dem sie arbeiten“, beschliesst Moser seinen Artikel und fordert sie dazu auf, den Journalismus gegen seine Feinde zu verteidigen: „Zu diesen gehören auch die Medienkonzerne, bei denen sie heute noch angestellt sind.“

Das neue „Surprise“-Magazin wird ab heute auf der Strasse verkauft. Die Hälfte der sechs Franken gehen an den Verkäufer.