Der EU-Papiertiger: Die Datenschutz-Grundverordnung
Wie sinnvoll ist die Datenschutz-Grundverordnung? Eine erklärende Übersicht.
«Bislang ist das Datenschutzrecht ein Papiertiger, obwohl in Europa die Privatsphäre als Menschenrecht verankert ist. Allerdings merkt man der Datenschutz-Grundverordnung an, dass sie das Werk von 28 beteiligten Mitgliedstaaten und zahlreichen weiteren Beteiligten – auch vielen Lobbyisten der Wirtschaft – mit unterschiedlichen Interessen ist. Die DSGVO ist deshalb teilweise weitschweifig und widersprüchlich», sagt Martin Steiger, Schweizer Jurist. «Es wird sich zeigen, wie Aufsichtsbehörden und Gerichte mit der DSGVO umgehen werden. Gleichzeitig hat die DSGVO aber bereits dazu geführt, dass der Datenschutz deutlich an Bedeutung gewonnen hat, was mich – gerade auch als Mitglied der Digitalen Gesellschaft – freut.»
Von der DSGVO sind auch Selbstständige und private Webseiten-Betreiber betroffen, sobald sich Besucher registrieren müssen, um kostenlose Angebote zu beziehen. Es spiele keine Rolle, ob jemand Personendaten als Einzelperson oder als Unternehmen bearbeite. Wenn sich eine Einzelunternehmerin mit der Website an Personen in der EU richte und diesen beispielsweise Newsletter oder Whitepaper anbiete, dann sei die DSGVO anwendbar, bestätigt Martin Steiger.
Urliberales Gut
«Prinzipiell hätte es die DSGVO nicht gebraucht, allein in Europa gibt es seit Jahren mehr als 200 verschiedene Datenschutzgesetze», schreibt die NZZ am 25. Mai 2018. In der Schweiz besteht seit einem Vierteljahrhundert ein solches Gesetz, das sich jedoch derzeit in der Revision befindet. Das Schweizer Datengesetz hat einen Haken: Es kann nur national regeln – die Globalisierung existiert nicht in unseren Vorschriften. «Einerseits bedeuten die strikteren Vorschriften eine Stärkung der informellen Selbstbestimmung, eines urliberalen Guts, das es zu verteidigen gilt. Andererseits haben sie für die betroffenen Unternehmen einen Mehraufwand zur Folge», doppelt die NZZ nach.
Gefahrenzone
Blogger bearbeiten oft Personendaten, erfassen Nutzer in Server-Logdateien, lassen sich online kontaktieren, nutzen Spamfilter, ermöglichen das Veröffentlichen von Kommentaren, versenden Newsletter usw. «Blogger benötigen deshalb immer eine Datenschutzerklärung und müssen teilweise auch Einwilligungen einholen. Bei Einwilligungen ist zu beachten, dass die Anforderungen an die Gültigkeit hoch sind und eine erteilte Einwilligung jederzeit widerrufen werden kann. Es ist deshalb bei einem Kontaktformular häufig weder notwendig noch sinnvoll, eine Einwilligung vorzusehen. Es ist ein populärer Irrtum, dass die DSGVO immer eine Einwilligung verlangt. Man kann die Bearbeitung von Personendaten beispielsweise mit der Vertragserfüllung oder mit den eigenen überwiegenden berechtigten Interessen – dazu zählen Direktwerbung und Informationssicherheit – rechtfertigen», sagt Martin Steiger auf netzwoche-news.
Auskunftsrecht mit Medienprivileg
Damit das Recht auf freie Meinungsäusserung und Informationsfreiheit nicht im Schlund des Papiertigers landet, dürfen Fernseh- und Radiosender in Deutschland weiterhin personenbezogene Daten ohne Einwilligung von Betroffenen verarbeiten bzw. für journalistische Zwecke erheben.
Aber nur die Massenmedienkonzerne profitieren vom datenschutzrechtlichen Medienprivileg und können bei Bedarf das Auskunftsrecht verweigern. Dem selbständig, journalistisch tätigen Blogger etwa ist dieser Weg nach aktueller Gesetzeslage verwehrt. Ihm bleibt die Möglichkeit abzuwägen, ob sein Grundrecht auf freie Meinungsäusserung im konkreten Fall überwiegt und riskiert dabei, die Auskunftserteilung zu Unrecht zu verweigern.
In diesem Bereich ist Handlungsbedarf, zumal zunehmend Journalisten als Blogger im Netz unterwegs sind. Man kann sich fragen, weshalb sich der Deutsche Presserat nicht äussern konnte beim Gesetzesentwurf – zumal die Medien mitten in der Transformation der Digitalisierung stecken.
Die Selbstregulierung der Branche mit dem journalistischen Kodex bzw. den Rechten und Pflichten eines Journalisten, darauf sollten sich auch Blogger und freiberufliche Journalisten berufen können. Diese Selbstregulierung besteht in der Schweiz seit 1977 mit dem Presserat in Bern.
Die Standesorganisation der schreibenden Zunft, etwa der Dachverband impressum, wie auch die Politik, ist gefordert – der EU-Papiertiger darf in der Schweiz, die sich formierende Publikative im Zeitalter der Digitalisierung nicht vertilgen. Bernhard Pörksen schildert in «Die grosse Gereiztheit – Wege aus der kollektiven Erregung» (Hanser-Verlag 2018), wie sich eine fünfte Gewalt, namens Publikative entwickelt – nebst der Exekutive, Judikative, Legislative und der vierten Gewalt, des traditionellen Journalismus.
Mit der fünften Gewalt bekommt die redaktionelle Gesellschaft als Bildungsziel eine neue Dimension, dazu gehören Blogger und investigativ, freischaffende Online-Journalisten. Die digitale Moderne kann die Öffnung des kommunikativen Raums begleiten und mit Normen eine Plattform-Ethik vorantreiben – dafür braucht es ein papiertigerfreies Regelwerk.