„Die meisten Blogs haben deutlich korrekter berichtet“

Jörg Kachelmann kritisiert in einem „Weltwoche“-Interview alte Weggefährten und die Berichterstattung von Journalisten. Dagegen formiert sich Widerstand.

Jörg Kachelmann, kürzlich in erster Instanz vom Mannheimer Landgericht vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen, gewährt zwei sehr ausführliche Interviews. Einerseits der „Zeit“ (Kachelmann: „Erstens, zweitens, drittens – das geht Sie einen Scheiß an!“), andererseits der „Weltwoche“ (aktuelle Ausgabe, Seiten 26 bis 35, Chefredaktor Roger Köppel dazu: „Weder die Zeit noch die Weltwoche haben auch nur einen Rappen bezahlt für dieses Interview“).

Die heftige Kritik an den Medien und den Journalisten setzt sich auch im zweiten Interview fort. Köppel sagt Kachelmann, dass die Medien doch eigentlich gar keinen schlechten Job gemacht hätten. Während Burda und Springer „den zornigen Frauen eine Plattform“ geboten hätten, seien Spiegel und Zeit auf seiner Seite gewesen. Kachelmann sieht das anders:

Nein. Die einzigen Journalistinnen, die den Prozess kontinuierlich verfolgt haben, waren Frau Friedrichsen vom Spiegel und Frau Rückert von der Zeit. Bei allen anderen Journalisten hatte ich den Eindruck, dass Gerichtsreporter die Reporter sind, bei denen man in den Zeitungen froh ist, wenn sie nicht auf der Redaktion sind. Es wurde so viel Unsinn geschrieben. Auch das neue Buch des Tages-Anzeiger-Journalisten Thomas Knellwolf ist voll davon, soweit ich es nach ersten Lektüreerlebnissen beurteilen kann. Die Medien haben insgesamt versagt, weil sie die Lügen der Anklage ungeprüft aufschrieben und sich als unkritische und obrigkeitshörige Speichellecker einer durchgeknallten Staatsanwaltschaft verstanden. Die Inkompetenz war erdrückend. Schön, dass es zwei Frauen sind, die als Einzige selbst recherchiert haben. Sie waren nicht «für mich». Sie waren nur die einzigen Journalisten, die den Beruf ausfüllen, wie ich ihn vor 25 Jahren kennengelernt habe.

In den nächsten Fragen geht es gleich weiter: Roger Schawinski sei doch „einfach nur ein weiterer Knellwolf und Wichtigtuer“, „er kennt mich nicht, er war und ist kein Freund“. Und auch Peter Rothenbühler dürfe sich als sein Freund bezeichnen, obwohl er ihn „wohl über zehn Jahre nicht gesehen“ und „auch früher höchst selten mit ihm zu tun hatte“.

„Faktentreue war nie seine Stärke“, heisst es dann über Nik Niethammer. Und über Ringier sagt Kachelmann: „Früher war Ringier eine anständige Adresse. Heute ist er wie Burda und Springer. Nicht hinsehen, nicht anfassen. Grusig.“

Er gibt an, dass sein Vertrauen „in die Leistungskraft der meisten Medien“ inzwischen bei null angelangt sei:

Die meisten Blogs haben deutlich korrekter über die Prozesstage berichtet als die allermeisten Medien, und es geht nicht um die Bewertung, nur um die Fakten.

Natürlich formiert sich dagegen Widerstand. Helmut-Maria Glogger will, dass Jörg Kachelmann seinen Mund hält (wir berichteten). Peter Rothenbühler glaubt, „pathologische Züge“ bei Kachelmann zu erkennen. Er sei eine Art mit allen Mitteln in die Medien drängende „Nella Martinetti der Justiz“. Ein Leserkommentar bemerkt dazu nüchtern: „2 Interviews in 3 Wochen, dies nach dieser Medienschlacht, wer drängt da in die Medien?“

Und René Zeyer glaubt, dass Köppel seinen Interviewpartner vor sich selbst hätte schützen sollen (im Persönlich-Blog und im Journal 21) – und nennt Kachelmann in seinem Beitrag „Viertklass-Promi“ und einen „offenkundig traumatisierten und gestörten Wetteransager“, der „Jauche auf ehemalige Weggefährten, Bettgespielinnen, die Justiz und die Medien“ herabregnen lasse. Die Frage, wer hier wen vor was schützen muss, steht dabei ganz gross im Raum.

Ich habe einen anderen Eindruck von den beiden Interviews. Ich habe sie mit Interesse gelesen habe und freue mich, Kachelmanns Aussagen nicht oder kaum entschärft abgedruckt zu sehen. Es mag sein, dass er da und dort über das Ziel hinausschiesst, aber wer kann schon nachvollziehen, wie jemand zumute ist, der in den vergangenen Monaten erlebt hat, was Kachelmann erlebt hat?

Nicht erwähnt ist übrigens der Schweizer Journalist, der gute Arbeit geleistet hat. Noch bevor „Spiegel“ und „Zeit“ definitiv Position bezogen, legte Hansjürg Zumstein in seinem DOK-Film vom 23. März alle verfügbaren Fakten auf den Tisch – und kam zum Schluss, dass es etwas anderes als ein Freispruch eigentlich gar nicht geben könne. Er deckte auch auf, dass die endlos wiederholte Szene, in der der Beschuldigte mit den Worten „Ich bin unschuldig, das ist alles, was ich im Moment sagen kann“ in den Polizeibus einsteigt, nur auf Druck der anwesenden Fotografen zustande kam, die darauf drängten, dass der Bus ein paar Meter vom Ausgang weg verschoben wird (im DOK-Film ab Minute 17).

Alle Bilder: Screenshots aus dem DOK-Film „Kachelmanns Fall“

Nachtrag, 19. Juni 2011: Das Interview ist nun in voller Länge auf weltwoche.ch freigeschaltet.

  1. Es ist schon ein Teufelskreis mit den Medien. Die einzige Möglichkeit, diese öffentlich zu kritisieren, sind die Medien.Man kann von der Weltwoche ja halten, was man will. In diesem Fall ist es aber sicher richtig und wichtig, dass es noch Verlage gibt, die gegen den Strom schwimmen. Wäre die Weltwoche nicht „unabhänig“, sprich einem grossen Verlag untergeordnet, wäre das Interview wohl kaum so abgedruckt worden. Das Beispiel zeigt eindeutig die Gefahren der Medienkonzentration auf. Wenn diese weiter voranschreitet, wird es in ein paar Jahren keine Möglichkeit mehr geben, sich öffentlich über andere Medienverlage auszulassen.Sehr guter Artikel mit spannenden Inputs.

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