Die Realität in rosarot

Die NZZ konstatiert bei Tamedia-Verleger Pietro Supino und bei Verlegerverbandpräsident Hanspeter Lebrument eine rosafarbene Sicht.

rosarotTamedia-Verleger Pietro Supino reagierte in einem von „Das Magazin“ publizierten Meinungsbeitrag auf die Forschungsergebnisse von Kurt Imhof und seinem Team von der Stiftung Öffentlichkeit und Gesellschaft.

Darauf wiederum reagierte Imhof in einem Beitrag auf medienspiegel.ch:

Der Ärger über den Überbringer der Botschaft, dass Gratiszeitungen die Qualitätskriterien schlecht erfüllen, ändert nichts am Ergebnis: Die Einordnung der Informationen – eine Kardinalaufgabe der Journalisten – findet viel zu wenig statt, das Angebot ist nicht nachhaltig. Solcher Journalismus bietet viele emotional aufgepeppte Agenturmeldungen und «Human Interest». Die Gratisabgabe verbessert nicht die journalistische Qualität, entzieht aber dem Bezahljournalismus Inserate-Einnahmen und mindert das Bewusstsein der (jungen) Leserinnen und Leser, dass guter Journalismus Geld kostet. (…)

Jener Journalismus, der sich wenig für Inhalte der Politik und mehr für die Privatsphäre der Politiker interessiert, der auf den Bundesrat fixiert ist und das Parlament verkennt, verändert den öffentlichen Raum. Am meisten Echo finden Politiker und Parteien, die Probleme lieber emotionalisieren als versachlichen. Nebensächliche Themen werden aufgeblasen, relevante Fragen unterbelichtet. In Zeiten der «Blasen» wurde die Wirtschaftberichterstattung manchmal Teil des Problems statt der Lösung. Die Schweizer Weltläufigkeit schwindet, wenn die Auslandberichterstattung verkümmert und Medien den Eindruck wecken, jenseits der Grenze bestehe die Welt aus Unglück und Unsittlichkeit.

Und der gefühlt letzte in der Schweiz verbliebene Medienredaktor, Rainer Stadler von der NZZ, antwortete Supino, er würde die Realität verkennen. Statt Vielfalt herrsche Scheinvielfalt:

Es gibt bewundernswerte Journalisten, die aus schwieriger ökonomischer Lage heraus gute Arbeit leisten. Die Frage bleibt indessen, wie nachhaltig solche Arbeitsweisen auf dünnem Eis sind. Zudem sind die Folgen der Sparaktionen der jüngsten Jahre unübersehbar. Das redaktionelle Fachwissen schrumpfte, gewisse Themen finden kaum noch oder höchst zufällig statt. Besonders stark fällt der Abbau insbesondere bei der Auslandberichterstattung auf. (…)

Die Zunahme des Komforts beim Konsum, die Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten der Nutzer sind zweifellos wunderbar, doch bedeutet dieses Wachstum keine Vermehrung von Hintergrundinformationen. Gerade im Internet sind starke Konzentrationstendenzen zu beobachten. In der Deutschschweiz gibt es zwar etliche neue Info-Sites, doch sie sind schmalbrüstig. Den Takt schlagen höchstens fünf Websites. Nicht zu übersehen ist überdies die grosse Bedeutung weniger Quellen: der klassischen Nachrichtenagenturen nämlich, insbesondere der SDA. Ständen sie still, täten sich auf den Websites riesige Löcher auf. (…)

Eine deutsche Studie stellte vor zwei Jahren fest: Es wird flüchtig recherchiert. Internet-Quellen werden selten überprüft. Zudem stützen sich die Medienschaffenden bei Online-Recherchen hauptsächlich auf Erzeugnisse von Agenturen und Kollegen, aber weniger auf Primärquellen wie Websites von politischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Einrichtungen (Prof. Marcel Machill, Universität Leipzig). Die befragten Journalisten nannten die üblichen Gründe für den Sachverhalt: personelle Engpässe und Zeitmangel. An dieser Situation hat sich seither kaum etwas geändert, so muss man aufgrund eigener Beobachtungen anfügen.