Eine Frage der Haltung

Darf man sich als Medienschaffender engagieren oder sollte man grösstmögliche Distanz wahren? Um den Aktivismus im Journalismus hat sich eine interessante Debatte entwickelt.   

Glen Greenwald, der als Reporter beim Guardian die NSA-Dokumente von Edward Snowden publik machte, schob das alte Thema noch einmal an. Zuerst in den USA, als Greenwald im Oktober den etablierten Medien vorgeworfen hatte, eine fatale Nähe zur Macht entwickelt zu haben. Bill Keller, der frühere Chefredakteur der New York Times, hielt dagegen: Er meinte, dass Journalisten in jedem Fall Distanz zum politischen Geschehen wahren müssten.

Im Dezember dann kam das Thema auch im deutschsprachigen Raum an, als Greenwald am 30. Jahreskongress des Chaos Computer Clubs im Dezember nachdoppelte. Durch die Überwachungspraxis der NSA befände er sich in einem Konflikt, und er könne nicht so tun, als genüge es, diesen Konflikt neutral und distanziert wie einen Verkehrsunfall zu betrachten. Seither wird in der Medienszene, in Artikeln, auf Twitter und in Blogs darüber gestritten, was «aktivistischen Journalismus» ausmacht, und worin er sich vom «richtigen» Journalismus unterscheidet.

Die Kritiker werfen dem mittlerweile zum Aktivisten gegen den Überwachungsstaat avancierten Greenwald vor, er überschreite jene Grenze, die einst der deutsche Fernsehjournalist Hanns Joachim Friedrichs mit seinem Lehrsatz allen Medienschaffenden nahegelegt hat: «Mache dich nie mit einer Sache gemein, auch nicht mit einer guten!» Greenwald habe die Distanz verloren, er sei mehr Aktivist als Journalist.

Allerdings, Friedrichs hatte den Satz in einem anderen Zusammenhang gesagt, nämlich als Antwort auf die Frage, wie er als Nachrichtensprecher mit dem Leid in der Welt umgehe, den vielen Toten, über die er berichten müsse. Und wer glaubt, aufrechte Journalistinnen und Journalisten könnten neutral über etwas berichten, verkennt, dass jede Form der Darstellung wertend ist, sei es durch Kommentar, durch Auswahl, Gewichtung und Aufmachung. Greenwald selbst sagt, wir alle seien subjektive Wesen: «I think all journalism is a form of activism, but not all activism is journalism», gab er auf Twitter zu bedenken.

Tatsächlich lässt der Neutralitätsanspruch nur in einem engen Bereich des Journalismus fest machen, dem der nackten Berichterstattung. In vielen anderen Bereichen, zum Beispiel in den Ressorts Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, aber in der Politik können die Berichtenden nie völlig neutral sein, und machen sich, ob gewollt oder nicht, zu einem Teil gemein mit der Sache, über die sie berichten. Eine Frage der Haltung des Einzelnen oder des Mediums wäre es, die jeweilige Position sauber zu kennzeichnen.

Mehr zur Debatte hier:

Glen Greenwald im Guardian: http://www.theguardian.com/commentisfree/series/glenn-greenwald-security-liberty

Kai Biermann und Patrick Beuth in der ZEIT: http://www.zeit.de/digital/internet/2013-12/30c3-keynote-glenn-greenwald

Tim Strohschneider im ND: http://www.neues-deutschland.de/artikel/919280.html

Gábor Paál auf Carta: http://www.carta.info/68670/das-gemeine-sich-gemein-machen/

Wolfgang Michal auf Carta: http://www.carta.info/68699/die-angst-der-deutschen-journalisten-vor-dem-aktivismus/

John Nebel im Metronaut: http://www.metronaut.de/2013/12/wieviel-aktivismus-darf-journalismus/

Günter Hack in der ZEIT: http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2014-01/Greenwald-Journalisten-Aktivisten-Paradoxon