Eine Zeitungsfusion ganz ohne Spardruck

In 100 Tagen erscheint erstmals «reformiert». Das Blatt mit der gigantischen Auflage von 710‘000 entsteht aus «Kirchenbote» und «Saemann». Am «Journitalk» in Bern sind Details bekannt geworden.

Sexy ist das Thema «Kirchenblätter» nicht gerade, trotzdem hat Gastgeber Roland Jeanneret einen Besucherrekord verzeichnet. Denn die Branche hoffte auf Details der Mega-Fusion – und wurde nicht enttäuscht: Martin Lehmann vom «Saemann» lieferte Fakten.

Reformierte Publikationen aus den Kantonen Bern, Jura, Solothurn, Aargau, Zürich und Graubünden – allen voran der Zürcher «Kirchenbote» und der Berner «Saemann» – fusionieren zu «reformiert». Start ist am 30. Mai (kurz nach Pfingsten, sehr symbolisch). Form: 4-Farben-Zeitung im Normalformat. Erscheinungsweise: monatlich (im Kanton Zürich zwei-wöchentlich).

Was die Branche beeindruckt: die Auflage von 710‘000 Exemplaren – was im Bereich von «Touring» und nahe an «Migros-Magazin» oder «Coop-Zeitung» liegt. Ein publizistisches Schwergewicht, ein echter Meinungsmacher, vielleicht auch ein Machtfaktor. Schliesslich wird «reformiert» nicht nur Fragen der Lebensführung behandeln, sondern auch handfeste politische Themen (bisher etwa Asylgesetz, Blocher-Interview).

Zu Geld wird die Mega-Auflage aber nicht gemacht. «reformiert» gesteht sich Werbung nur im Umfang von 10 Prozent und nach ethischen Kriterien zu. Der Tausenderpreis soll zudem hoch liegen. Der schnöde Mammon ist der Zeitung mit Sendungsbewusstsein (sie wird zum Teil auch Katholiken, Moslems und Juden ungefragt in den Briefkasten gesteckt) eben nicht wichtig. So dürfte dies die erste Zeitungsfusion der Schweiz sein, bei der kein Spardruck herrscht. Im Gegenteil: Was bei der Druckzusammenlegung eingespart wird, fliesst direkt wieder ein, um redaktionell noch mehr machen zu können.

Und das Resultat lässt sich sehen: Die Nullnummer präsentiert sich modern, luftig, leicht lesbar. Sie erinnert stark an «.ch», mit dem sie auch den Punkt im Titel gemein hat, «reformiert» heisst nämlich korrekt «reformiert.» – der Punkt gross und rot. Der erste Bund ist 12 Seiten stark und behandelt aktuelle Themen, in einer attraktiven Mischung von Kurzfutter und Dossier-Stil, dabei geht es längst nicht nur um Kirchliches, sondern um Lebensgestaltung und Sinnfindung. Die Qualität ist hoch. Nicht «Hofberichterstattung» oder «Fachpresse» wird gemacht, sondern die Kirche mit journalistischer Distanz begleitet (Lehmann: «Eine Zeitung, die die Kirche ernst nimmt, muss die Kirche kritisch abhandeln.») Der zweite Bund von 8 Seiten ist der «Regionalsplit». Solche Splits gibt es bei «reformiert» viel mehr als etwa beim «Tages-Anzeiger» – weit über 40.

Die Redaktionen werden nicht zusammengelegt, sondern an den bisherigen Standorten weiterbetrieben. Die Kolleginnen und Kollegen treffen sich regelmässig und halten dazwischen Telefonkonferenzen ab. Der «Kirchenbote» war bisher näher bei der Kirchgemeinde, der «Saemann» pflegte allgemeinere Themen. Wie die beiden Kulturen zusammenfinden, wird sich weisen. Die Macher sind zuversichtlich, da sie auch in der Vergangenheit teilweise schon zusammengearbeitet haben.

Und in etwa einem Jahr wird die Leserbefragung zeigen, wie die modernisierte Zeitung ankommt. (sut.)

             
Ab Pfingsten 2008 soll die Zeitung zu einer gewichtigen Stimme der Protestanten in der Deutschen Schweiz werden.