Emotionshäppchen in 400 Zeichen

Philippe Zweifel teilt die Newsnetz-Kommentatoren in zehn Typen ein. Anderswo im Web diskutiert man gepflegt weiter.
Screenshot tagesanzeiger.ch

Der Inkonsequente, der Moderator, der Trompeter, das Opfer, das Zensuropfer, der (Religions-)Fanatiker, der Korrektor, der Verschwörungstheoretiker, der Besserwisser, der Epiker. Das sind die zehn Typen, in die Philippe Zweifel für tagesanzeiger.ch/Newsnetz die Leser dieses Angebots einteilt.

Weil irgendwie keiner dieser Typen positive Eigenschaften hat, erklärt man ihnen, also seinen eigenen Lesern, einleitend:

Sicher ist: Wir wollen Sie nicht als Kommentatoren missen. Gerade wegen der Vielfältigkeit der Beiträge, was Fachkenntnis, Stil und Emotionalität angeht.

Ja, richtig, vielfältige Beiträge mit Emotionalität, das ist, was man in Leser-Foren Schweizer Online-Medien am ehesten antrifft. Kein Wunder, denn erstens ist den 400 Zeichen, die Newsnetz seinen Kommentatoren zugesteht, nichts möglich, was über einen spontanen Gedanken hinausgeht. Und zweitens übernehmen Kommentare nicht selten den Groove des Artikels. So ziehen sachliche Artikel sachliche Kommentare an und emotionale Artikel emotionale Kommentare.

Interessant sind natürlich die Kommentare zum Artikel, aus denen ich jetzt einfach mal ein paar Sätze auswähle:

Ich finde es absolut fragwürdig, dass Sie als Tageszeitung, die ernst genommen werden möchte, eine solche „Analyse“ veröffentlichen. Am Ende hat man das ungute Gefühl, dass Sie sich über die Kommentarschreiber lustig machen.

der tagi soll doch einfach eine diskussion ermöglichen.

ein motivierender artikel…! ich erkenne mich in allen der 10 typen wieder… :-)

Danke für den tollen Artikel. Ich habe mich gerade dabei ertappt, manchmal selbst die Rolle des besserwisserischen Korrektors einzunehmen.

Amüsanter Beitrag. Selten so gelacht. In den Kommentaren zu diesem Artikel kamen alle Typen mindestens einmal vor…:-)

Nicht angeschnitten wird die Möglichkeit, den Leser als Gesprächspartner ernst zu nehmen oder seine Anregungen und Vorschläge aufzunehmen und umzusetzen. Offenbar ist es recht, wenn der Leser weiterhin schön brav seinen Senf in 400 Zeichen dazugibt. Es fragt sich nur, ob er das auch noch tut, wenn er merkt, dass er eigentlich nur als Klickvieh dient. Denn je höher die Zahl der Seitenaufrufe, desto mehr Werbung kann verkauft werden. Leser, die fleissig kommentieren und Reaktionen dazu nachschauen, können ein Angebot zum Klick-Millionär machen.

Die Typologie der Newsnetz-Leser ist nicht misslungen. Allerdings weiss fast jeder, der regelmässig online ist, aus eigener Erfahrung, dass an anderen Orten im Web ernsthaft und fruchtbar miteinander diskutiert wird. Wer will, dass seine Meinung ernstgenommen wird, wird sich weiter an solchen Orten aufhalten. Wer nichts mehr als spontan etwas einwerfen will, füttert weiter die Emotionsmaschine.