Es kommt Bewegung in die Debatte um ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage

In Deutschland kommt überraschend Schwung in die Debatte um ein Leistungsschutzrecht. Auch wenn die rechtliche Umsetzung eines solchen Rechts völlig unklar bleibt, gibt es auch in der Schweiz Befürworter eines solchen, zum Beispiel Norbert Neininger vom Verband Schweizer Presse.


Tweet von Konstantin von Notz, Screenshot twitter.com

Das Plädoyer von Norbert Neininger, Chef der „Schaffhauser Nachrichten“ und Präsidiumsmitglied des Verbands Schweizer Medien, für ein Leistungsschutzrecht am 17. August 2010 in der NZZ, begann mit diesen Worten:

Genau erinnert sich keiner mehr, wann und warum das Internet zum rechtsfreien Raum wurde.

Wie es mit den einklagbaren Rechten im Web aussieht, mag Ansichtssache sein, aber das Netz pauschal als „rechtsfreier Raum“ zu bezeichnen, muss man leider als Werbung in eigener Sache bezeichnen und nicht als Einschätzung einer Lage.

Dass das Internet eben genau KEIN rechtsfreier Raum ist, musste Neininger nach dem dreisten Abdruck eines Blogbeitrags erfahren, der dank der Nachsicht von Opfer Monika Bütler „gütlich“ geregelt werden konnte. Neininger dagegen präsentierte sich selbst als Opfer.

Das Leistungsschutzrecht (kurz LSR) war im Koalitionsvertrag der aktuellen deutschen Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP schon lange festgeschrieben, blieb aber lange unklar. Nun hat der Koalitionsausschuss vom 4. März 2012 folgendes beschlossen (PDF-Dokument):

Gewerbliche Anbieter im Netz, wie Suchmaschinenbetreiber und News-Aggregatoren, sollen künftig für die Verbreitung von Presseerzeugnissen (wie Zeitungsartikel) im Internet ein Entgelt an die Verlage zahlen.

Die Nachrichtenagentur dapd vermeldet den Beschluss des LSR ganz im Sinne der Presseverleger und der Regierung unter dem Titel „Koalition verbessert Urheberrecht im Internet“.

Auf Schweizer Verhältnisse gemünzt heisst angewandtes Leistungsschutzrecht zum Beispiel, dass Google für dieses Anpreisen eines Artikels von Blick.ch auf „Google News“ …

… ein Entgelt an den Ringier-Verlag zahlen müsste.

Solche Snippets, nichts mehr als automatisierte Zitate, fallen natürlich haufenweise an. Ich vermute, eine konkrete Verrechnung lässt sich kaum ordentlich organisieren.

Mein Verdacht ist aber sowieso ein anderer: Es geht den Presseverlegern nur um das Geld. Sie wollen mit dem Leistungsschutzrecht ihr durch das Aufkommen des Internets in Schieflage geratenes Geschäftsmodell der Zeitung finanzieren. Wir erinnern uns: Norbert Neininger ist mit news1.ch gescheitert, selbst eine erfolgreiche Kopie von „Google News“ aufzubauen. Nun soll Google und eine unüberschaubare Anzahl anderer einfach nur bezahlen für den eigens geleisteten Service. Ja, ein eigens geleisteter Service. Denn es ist eine journalistische Leistung, Texte anderer zitierend und für den Leser gewinnbringend zusammenzufassen. Und es ist eine informationstechnische Leistung, ein Portal so zu programmiern, dass es für den Leser ein Gewinn ist.

Zu den Bezahlern solcher Entgelte würde neben Suchmaschinen wie Google oder Bing wohl auch der Perlentaucher gehören, der die Feuilletons von Zeitungen zusammenfasst. Oder meine tägliche Presseschau „6 vor 9“ bei Bildblog.de. Jedes Medium, das Zitate von Verlagen wiedergibt, würde zahlen müssen, also zum Beispiel auch 20min.ch, tagesanzeiger.ch, nicht zuletzt die Zeitungen selbst.

Das Spiel lässt sich auch leicht umdrehen. Als Politiker, CEO oder Zitatgeber von Zeitungen anderer Art würde ich Verlagen, die selbst ein Leistungsschutzrecht einfordern, keine freien Zitate mehr zur Verfügung stellen. Wer Geld will für Zitate, soll für Zitate zahlen.

Das Leistungsschutzrecht ist eine Einschränkung der Verlage selbst. Wenn unklar ist, wer noch wie frei zitieren kann, dann bedroht das die Pressefreiheit. Noch ist die unsinnige Idee des Leistungsschutzrechts Theorie. Lassen wir sie nicht Realität werden.

Mehr dazu:
Hurra: Urheberrecht im Internet verbessert! (Stefan Niggemeier)
Zeitungen, die Kiwis der Medienwelt (Stefan Niggemeier)
„Was Google macht, ist illegal“ (Norbert Neininger 2008)
News1.ch: Regionalverleger gründen Allianz (Start von News1 2008)
CDU/CSU und FDP: Presseleistungsschutzrecht wird bedeuten, dass Google News zahlen muss (Marcel Weiss)
Lex Google, vulgo Leistungsschutzrecht (Opalkatze)
Bundesregierung konkretisiert Pläne für ein Leistungsschutzrecht der Verlage (Freienblog des DJV)
Berliner Koalitionsausschuss legt Entwurf für Leistungsschutzrecht vor (nzz.ch, Henning Steier)
Bundesregierung erspart Verlegern Innovation (zeit.de, Kai Biermann)
Schwarzer Tag für das Urheberrecht – Lobbyismus setzt sich vorerst durch (irights.info, Philipp Otto)