121 Redaktoren des Tages-Anzeigers protestieren als „Gruppe 200“ und zeigen in einem fünfseitigen Dokument praktische Probleme der Zusammenführung von Print und Online auf. Die Fälle sind exemplarisch und darum höchst lesenswert für alle Journalisten.
Bild: Ausschnitt aus dem Protestschreiben der „Gruppe 200“.
Alexandra Stark fragte kürzlich:
Liebe Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten. Warum wollt ihr alle "Printjournalisten" werden? Warum nicht einfach "gute" Journalisten?!
— Alexandra Stark (@alexandrastark) November 13, 2013
Ich kann es Euch sagen: Weil Printjournalisten im Rufe stehen, richtigen Journalismus betreiben zu können / dürfen. Jobs als Onlinejournalisten dagegen werden nicht oder nur begrenzt als Journalismus wahrgenommen, sondern vielmehr als Content-Fabrikation – unsere journalistischen Nachwuchskräfte sind ja zum Glück nicht blöd, und nicht so leicht zu täuschen. Die meisten Nachwuchskräfte wollen nicht deshalb zu Print, weil sie Papier unglaublich sexy finden oder weil sie Angst haben vor technischen Fragestellungen (die das Publizieren im Netz durchaus mit sich bringt). Sie wollen einfach nur journalistisch tätig sein, mit ausreichend Zeit, die gestellten Aufgaben gut zu bewältigen. Sie wollen, wie jeder Journalist, Produkte erstellen, mit denen sie am Ende selbst zufrieden sein können.
Im Protestschreiben, das von 121 Tagi-Redaktoren und -Redaktorinnen unterzeichnet wurde, wird das Fehlen einer klaren Strategie und von klaren Zuständigkeiten bemängelt, dafür ein Übermass an Sitzungen festgestellt.
Weiter: ein schlechtes Arbeitsklima inklusive Befehlskultur, eine hohe Arbeitsbelastung, viel Spektakel und Klickstreben auf Kosten der Substanz sowie ein Allround- und Instantjournalismus – alles Herausforderungen, die Onlinejournalisten in den letzten Jahren ohne grosses Murren bewältigt haben. Neu konfrontiert mit diesen Fragen sind vor allem die Print-Leute. Jetzt offenbar merken sie, wie der Hase läuft, und wehren sich – endlich!
Man darf ihnen dankbar sein, dass sie die internen Problem nach aussen getragen haben. Denn der Konflikt inklusive der aufgezeigten praktischen Probleme ist exemplarisch – jede Redaktion sollte sich diese fünf Punkte gut durchlesen, denn genau um diesen Konflikt geht es! Die Frage lautet: Soll die Zukunft wirklich der Content-Fabrikation mit Boulevard-Einschlag gelten, die zuverlässig viele Klicks produziert – oder verstehen sich die Mitarbeiter als Journalisten, die journalistisch arbeiten wollen?
Online wird viel zu oft missverstanden als ein Ort, an dem nur Content-Fabrikation möglich ist. Dem ist nicht so, online ist schlicht alles möglich. Es geht viel mehr darum, dass Journalisten das, was sie bisher in der Zeitung gemacht haben, in Zukunft auch erfolgreich online machen können. Damit das möglich ist, müssen sie auch selbst etwas unternehmerischer denken und versuchen, ihren Verlagen kommerziell funktionierende Lösungen aufzuzeigen bzw. solche gemeinsam mit den Verlagen erarbeiten.
impressum unterstützt die Forderungen der Tages-Anzeiger-Redaktion. In einer Medienmitteilung heisst es:
Das Modell, dass mit gleich vielen Ressourcen dank Konvergenz und Kooperation viel mehr gemacht werden kann, geht nur auf dem Reissbrett so auf, wie die Geschäftsleitung von Tamedia sich das wünscht. (…)
Es ist an der Zeit, dass die Geschäftsleitung zugibt, dass mit weniger nicht mehr gemacht werden kann, und dies auch Hauptaktionären klarmacht! Und es ist an der Zeit, dass Tamedia die Konsequenzen daraus zieht – auch hinsichtlich der Renditeziele.
Protestschreiben der Tagi-Redaktion zur Konvergenz (infosperber.ch)
Protestschreiben der „Gruppe 200“ (infosperber.ch, PDF-Datei)
Liste der Unterzeichner (infosperber.ch, PDF-Datei)