Frauen in der SRF-Geschichtsschreibung

Frauen sollen jetzt auch in der Geschichte eine wichtige Rolle spielen. Doch haben sie das denn bisher? Eine Debatte um „Die Schweizer“.

Niklaus von Flüe
Niklaus von Flüe (aus dem Programmheft zu „Die Schweizer“)

„Einen Sturm der Entrüstung“ erntet SRG-Generaldirektor Roger de Weck gemäss einem Beitrag der „Schweiz am Sonntag“, weil in vier Filmen zur Schweizer Geschichte im Schweizer Fernsehen vor allem Männer vorkommen. „Unfassbar“, sagt darin Judith Stamm (CVP). „Unglaublich!“, Maya Graf (Grüne).

Wo also bleiben sie, die Frauen der Geschichte? „Es gibt sie“, behauptet Miriam Meckel im „Tages-Anzeiger“. „Man muss nur genauer hinschauen, gerade auch beim Fernsehen“, dann sieht man sie. Und nennt dann, *Trommelwirbel*: keine.

Also lagert Tagesanzeiger.ch die Frage an die Leser aus:

Screenshot tagesanzeiger.ch

Sie kennen gar keine dieser Auswahl und würden „keine“ ankreuzen? Also bitte, sowas lässt Tagesanzeiger.ch nicht zu, etwas Bildung wird schon vorausgesetzt. Denn unbekannt sind diese Frauen nicht, für jede Einzelne existiert ein Wikipedia-Eintrag: Gertrud Kurz, Marie Goegg-Pouchoulin, Emilie Kempin-Spyri, Wiborada, Katharina von Zimmern, Meret Oppenheim, Susanna Orelli-Rinderknecht, Isabelle Eberhardt.

Ob diese Frauen wichtig sind in der Geschichte oder nicht, einen Grund muss es geben, dass Sie sie nicht kennen. Es liegt entweder an Ihrem fehlenden Interesse für Geschichte, oder aber an der völlig einseitigen, männerzentrierten Bildung, die Sie bisher genossen haben.

Die Frage bleibt, wie wichtig diese Frauen wirklich waren. Geschichte wird natürlich von allen Wesen auf der Erde geschrieben, doch kann man wirklich bestreiten, dass bisher vor allem die Männlein unter den Menschen dominiert haben? Die mit 27 gestorbene, Männerkleidung tragende Reiseschriftstellerin Isabelle Eberhardt mag ein schöner Vorschlag sein und ist sicherlich ein DOK-Beitrag wert; doch die Welt verändert hat sie vor allem mit ihrer Art und ihren Texten, und das haben einige andere Männer, die nicht vorkommen in der Doku, auch.

Aber es ist ja immer das Gleiche: Auch die NZZ beschäftigt sich immer wieder nur mit Männerwelten. Moment, ich korrigiere: Frauenwelten. Denn über Männerwelten würde die NZZ nie gesondert berichten. Es ist eine banale Erkenntnis: Gleichberechtigung ist erst erreicht, wenn die NZZ und auch alle anderen Medien nicht mehr gesondert über Frauen berichten. Persönlich finde ich gesonderte Berichterstattung unangemessen. Von gestern. Und langweilig. Sogar der „Zeit-Schweiz“-Chefredaktor Peer Teuwsen langweilt sich:

Damit mehr Frauenthemen in die Medien kommen, braucht es mehr Frauen in den Redaktionen, die sich durchsetzen sowie mehr Aufnahmebereitschaft von Männern für Themen, die Frauen bewegen. Ob das in der Redaktion, die „Die Schweizer“ produziert hat, gefehlt hat, oder ob sachliche Gründe zur männerdominierten Auswahl geführt haben, sei mal dahingestellt – vielleicht kann das bei Gelegenheit ein Historiker klären. Oder eine Historikerin.

Journalistische Gründe, damit über Frauen berichtet wird, gibt es jedenfalls, wenn Frauen wichtig sind. In der Geschichte war das bisher nur teilweise der Fall. Doch heute haben Frauen alle Freiheiten, sind in gewissen Fragen zwar nach wie vor benachteiligt, in anderen aber auch nach wie vor bevorzugt. Ob sie eine wichtige Rolle in der Geschichte spielen, liegt in ihren Händen. Sie sollten es tun und nicht darüber lamentieren, dass sie es nicht tun.

„Die Schweizer“ (srgssr.ch)
Programmheft „Die Schweizer – Les Suisses – Gli Svizzeri – Ils Svizzers“ (srgssr.ch, PDF-Datei)

Nachtrag, 14:20 Uhr: „120 Secondes“ hat zur Debatte eine Stellungnahme eines gewissen Manfred Freuler eingeholt, er wird dem Publikum als „membre du conseil d’administration de la SSR“ verkauft:


120 secondes – L’opération spéciale "Les… von RTS

Nachtrag, 23:15 Uhr: Mariano Tschuor, Projektleiter von „Die Schweizer“, nimmt in einem Persoenlich.com-Interview mit Edith Hollenstein Stellung: „Wir wollen doch keine Geschichtsverfälschung machen!“