Gibt es noch Freie Schweizer Journalisten, die keine PR machen?

Freie Journalisten, die nur Journalismus machen, gibt es in der Schweiz fast keine mehr – denn die Budgets für die Freien werden eingeschränkt, die Honorare kleiner. Ein möglicher Ausweg ist es, die Schweiz zu verlassen.

Syndicom : Impressum

In einer Pressemitteilung machen Impressum und Syndicom auf die Arbeitszeiten von angestellten Journalisten und auf die Einkommenssituation von freien Journalisten aufmerksam. Dazu geliefert werden auch zwei Erfahrungsberichte, so einer zur Mindestruhezeit: „Den eigenen Akku wieder aufladen“.

Sehr lesenswert ist der zweite Text, „Aus dem Alltag einer freien Journalistin“. Es handelt sich dabei um einen Erfahrungsbericht einer ungenannten freien Journalistin, der klar macht, was ich schon lange vermutet habe. Es ist in der Schweiz sozusagen nicht mehr möglich, als freier Journalist zu überleben, ohne PR bzw. Kommunikationsarbeit zu machen:

„Mein monatliches Einkommen schwankte in den letzten 12 Monaten zwischen 250 und 11‘250 Franken Brutto. Im Jahr 2013 bekam ich 45 Honorarabrechnungen von neun Printmedien und vier weiteren Stellen, für die ich gearbeitet habe. Und: Ja, wenn ich angefragt werde, nehme ich zwischendurch auch Kommunikations-Aufträge an.

Impressum und Syndicom schreiben dazu:

Auch freie JournalistInnen arbeiten nonstop auf hochqualifiziertem Niveau. Sie erzielen oft Einkommen, die nicht einmal 4000.- Franken erreichen. (…)

Das Einkommen Freier reicht immer seltener für einen angemessenen Lebensunterhalt. Und die Arbeitszeiten der Festangestellten zwingen viele, die Branche zu wechseln. So gehen wertvolle Kenntnisse über die von ihnen bearbeiteten Themenbereiche verloren. Die Qualität leidet – Gesellschaft und Demokratie haben das Nachsehen.

Ich persönlich habe mich entschieden, keine Kommunikations- bzw. PR-Aufträge anzunehmen. Aber um das zu ermöglichen, musste ich Kauf nehmen, nicht in der Schweiz zu leben. Ich wohne deshalb seit 2007 als freier Journalist in Berlin.

In Berlin ist ein helles Brötchen nach wie vor für zehn Cent zu haben. Es gibt Läden, in denen man für einen Mini-Kebab oder einen Mini-Falafel in der Brottasche nur einen Euro zahlt oder für ein halbes Hähnchen zwei Euro. Und man kann in einer Wohngemeinschaft problemlos für einige wenige hundert Euro pro Monat wohnen. Noch sind die Lebenshaltungskosten in Berlin so tief, dass Menschen mit prekären Einkommensverhältnissen gut auch mal einen schlechten Monat überleben.

Aber wie soll das gehen in Zürich, wo schon nur die Miete über Tausend Franken kostet? Die unbekannte Journalistin schreibt weiter:

Bei den heutigen Honoraren kann ich mir aufwändig recherchierte Geschichten nämlich nur deshalb leisten, weil ich viele mehrfach verkaufen kann. (…)

Kann ich davon leben? Im Moment ja. Und weil es der spannendste Beruf ist, den ich mir vorstellen kann, werde ich sicher noch eine Weile dafür kämpfen. Notfalls vor Gericht.

Dass dies nötig ist, finde ich sehr schade. Denn damit der Journalismus eine Zukunft hat, ist vor allem eines wichtig: Wir Journalisten müssen dem Leser Geschichten liefern, die ihn fesseln. Geschichten, hinter denen er die Leidenschaft spürt und die Recherche. Texte, die sich in der Qualität von dem unterscheiden, was er in ein paar Klicks gratis im Internet findet, für die er bereit ist, etwas zu bezahlen.

Wenn freie Journalisten künftig entscheiden müssen, ob sie ihren Beruf aufgeben oder aber nur noch Geschichten machen, die sie aus Medienmitteilungen zusammenschreiben oder nach zwei Anrufen aus dem Ärmel schütteln können, verlieren auf lange Sicht nicht nur wir Freien, sondern auch die Medien, die diese Texte abdrucken.

Dabei sind freie Journalisten doch eigentlich sehr positiv für die Verlage: Sie benötigen kein Büro, keine Sitzungsräume, verbraten keine Zeit an Sitzungen – und liefern dann doch die wertvollen Stücke, aufgrund von denen Medien überhaupt erst konsumiert werden. Wie mit freien Journalisten in der Schweiz umgegangen wird, ist zunehmend ein äusserst trauriges Kapitel.

Oder gibt es freie Journalisten in der Schweiz, denen es finanziell blendend geht, die keine PR machen müssen und die diese ganze Diskussion überhaupt nicht nachvollziehen können? Dann bitte melden Sie sich bei mir, ich würde mich freuen, Sie kennenzulernen: http://about.me/ronniegrob.

Nachtrag, 16. Juli, 9:45 Uhr: Stefan Millius reagiert auf den Beitrag mit einem längeren Blogartikel:

Ich mache seit rund 15 Jahren beides. Unabhängigen Journalismus für diverse Medien und “PR” im weitesten Sinn. (…) Arbeite ich für ein Unternehmen, gibt mir dieses klare Auflagen bezüglich Ergebnis. Bin ich journalistisch für ein Magazin aktiv, arbeite ich unabhängig und unbeeinflusst. Das ist für mich selbstverständlich, darüber debattiere ich gar nicht erst. Weshalb ich bei der journalistischen Arbeit in irgendeiner Weise weniger objektiv sein soll aufgrund meiner PR-Arbeit als ein Journalist, der ja auch ein Leben neben der Arbeit hat (Vereine, Netzwerke, alte Freund- und Seilschaften), erschliesst sich mir nicht.

„Der Kreuzzug der Journalisten der Gilde der Reinheit“ (unternet.ch, Stefan Millius)

  1. Völlig einverstanden mit Kollege Millius! Was bei den edelsten Redaktionen heute üblich ist – Verletzung von Urheberrechten durch ungefragten Zweitdruck, Nichteinhaltung von Honorarabmachungen usw. – habe ich in den letzten 15 Jahren bei über 100 Auftraggebern aus Wirtschaft, Verbandswesen usw. nie erlebt. Man hat mir spannende Aufgaben gestellt, Vertrauen entgegengebracht, meine Arbeit respektiert und mich anständig bezahlt, so dass ich vom Ergebnis gut leben konnte und kann.

    Hört doch endlich auf mit dieser gequälten Abgrenzung von Journalismus und «PR» (was sowieso ein undifferenzierter und veralteter Begriff ist; am ehesten haben wir Journalisten es wohl mit Corporate Publishing zu tun.) Die Hauptbedingung ist Transparenz. Wenn ich eine Firmengeschichte schreibe, die in der Regel in einem der besten Sachbuchverlage der Schweiz erscheint, steht darin klar und deutlich, wer der Auftraggeber ist und was er mit der Publikation will.

    Ich arbeite für solche Mandate mit den genau gleichen journalistischen Mitteln und der gleichen Sorgfalt wie ich es früher für Magazine oder Zeitungen getan habe.

    Wenn die Mehrheit der Zeitungsverleger zu dumm ist, um vom Angebot von freien JournalistInnen wirtschaftlich vernünftigen Gebrauch zu machen und diese anständig zu bezahlen, weiche ich eben aus und verhalte mich marktgerecht. Wo ist das Problem?

  2. Wo zieht ihr überhaupt die Grenzen zwischen Journalismus und PR? Meines Erachtens gibt es da einen grossen Graubereich.

    Und: Ja, ich kann vom Schreiben leben, nicht in Saus und Braus, aber gut. Auch mit Wohnsitz in der Schweiz.

Kommentare sind geschlossen.