Hadern mit der Justiz

Vier Kollegen aus der Sonntagspresse stehen derzeit wegen angeblichem Geheimnisverrats in zwei unterschiedlichen Verfahren vor Gericht. Spektakulär sind beide Fälle und exemplarisch dazu.

Der erste Fall beschäftigt uns schon lang. Rückblende: Vor nunmehr 10 Jahren veröffentlichte Martin Stoll als Reporter der „Sonntagszeitung“ Auszüge aus einem als vertraulich klassifizierten Papier des damaligen Schweizer Botschafters in den USA, Carlo Jagmetti. Es ging darin um Lösungsansätze im Streit um die nachrichtenlosen jüdischen Vermögen. Jagmetti verwendete in dem Dokument deftige Worte, geriet nach der Veröffentlichung unter Druck und musste kurz darauf zurücktreten. Die düpierten Diplomaten schworen Rache und reichten via EDA Klage gegen Stoll ein. Die unteren Instanzen der Zürcher Justiz verknurrten ihn zu einer Busse von 800 Franken, er liess mit Rückendeckung des Verlags aber nicht locker. Das Bundesgericht bestätigte die erste Urteile, worauf das Verfahren an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ging. Dieser kassierte das höchstrichterliche Urteil aus der Schweiz und sprach Stoll im April 2006 frei. Begründung: die Publikation eines solchen Papiers falle unter die Meinungsfreiheit, welche (in diesem Fall) höher zu gewichten war, als das Schutzinteresse der Eidgenossenschaft. Die aber wollte sich damit nicht abfinden, und ging in die nächste Runde, bzw. an die höchste, die Grosse Kammer des Gerichtshofs. Diese Woche legten bei der Verhandlung in Strassburg beide Seiten noch einmal ihre Positionen dar. Auf das Urteil darf man gespannt sein.

Der zweite Fall betrifft die Schweizer Militärjustiz und drei Kollegen des „Sonntagsblick„, Christoph Grenacher, der als Chefredaktor kürzlich zurückgetreten ist, Sandro Brotz, der dem Militär als Rädelsführer gilt, und Beat Jost. Wegen Verletzung militärischer Geheimnisse müssen sie sich vor einem Militärgericht verantworten, Anlass ist die so genannte Fax-Affäre. Der „Sonntagsblick“ hatte im Januar 2006 einen Fax des ägyptischen Aussenministeriums veröffentlicht, den der Schweizer Nachrichtendienst abgefangen hatte. Darin gab es Hinweise auf die Existenz von illegalen CIA-Gefängnissen in Osteuropa. Das Eidg. Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport liess nun verlauten, dass der Auditor des Militärgerichts 6 Anklage gegen sie erhoben hat und ihnen unter anderem vorwirft, den Strategischen Nachrichtendienst geschwächt und damit die Sicherheit der Schweiz gefährdet zu haben. Den drei Journalisten drohen Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren.

In diesem Fall, der standespolitisch ebenso bedeutsam ist wie der Jagmetti-Prozess, regt sich nun internationaler Widerstand. Die Vereinigung Reporter ohne Grenzen (RoG) hat die Schweiz scharf kritisiert, unter anderem wegen der Zuständigkeit der Militärjustiz. Das diese Woche weltweit verbreitete Communiqué von RoG spricht der Militärjustiz die Legitmität für das Verfahren ab und verurteilt die Anklage scharf. Auch in diesem Verfahren ist damit zur rechnen, dass im Fall einer Verurteilung der EGMR das letzte Wort haben wird. (pv.ch)