Höchstrichterlicher Schutz für den Gastro-Journalismus

Der Europäische Gerichtshof hat die Schweiz wegen eines Verstosses gegen die Pressefreiheit verurteilt. Dem Gastro-Kritiker Mario Gesell war der Zugang zu den Fleischtöpfen am Weltwirtschaftsforum in Davos verweigert worden. Fast neun Jahre später erhält er nun 1500 Franken Schmerzensgeld.

Beizentester haben es nicht leicht: Sie werden bedrängt und beschwatzt von ehrgeizigen Wirten, belästigt von PR-Assistenten, beladen mit Kalorienbomben und betrunken vom guten Wein, den man ihnen kredenzt. Die Kollegen aus anderen Sparten neiden ihnen das gute Essen, das den Restaurantkritikern in der Regel kostenlos aufgetischt wird, und belächeln die Resultate ihrer Recherchen. Beklagen mag sich aber niemand, zu dessen Aufgaben das Verspeisen von Sterne-Menus gehört. Es gibt in der Tat Mühsameres in unserer Branche.

Nur wenn die Polizei kommt und einen an der Arbeit hindern will, hört der Spass auf. Eigentlich ist der Fall von Mario Gsell so ungewöhnlich nicht. Was ihm widerfuhr, auf der Fahrt in die Landschaft Davos, kennen viele Medienschaffende, die von den Unruheherden berichten müssen. Gsell reiste im Januar 2001 im Auftrag seines Arbeitgebers Gastro-News in das Bündner Hochtal, um einen Bericht über die Auswirkungen des Weltwirtschaftsforums (WEF) auf die Restaurants und Hotels des Veranstaltungsortes zu schreiben. Obwohl er seinen Presseausweis vorlegte, wurde er von der Polizei weggewiesen, und somit an der Ausübung seines Berufs gehindert.

Spass hört auf
Gsell, der in dem Fachmagazin das Ressort Sozialpolitik betreut, nahm das nicht hin und klagte. Auf dem Instanzenweg wies man den heute 51-jährigen Luzerner schnöde ab. Der Kanton Graubünden seine Beschwerde ab mit der Begründung, die Polizei habe wegen geplanter nicht genehmigter Kundgebungen umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Dies sehe das Schweizer Polizeigesetz im Falle von «ernsten Notsituationen» und einer «konkreten und unmittelbar bevorstehenden Gefahr» vor. Diese Argumentation stützte zuletzt auch das Bundesgericht.

Der Europäische Gerichtshof hat jetzt die Schweiz wegen eines Verstosses gegen die Pressefreiheit verurteilt. Die Strassburger Richter argumentierten, das Polizeigesetz erlaube Einschränkungen der Grundrechte nur für potenzielle Unruhestifter. Der Journalist habe nicht zu dieser Kategorie gehört. Die Schweiz muss dem Kläger nun gut 1500 Franken Schmerzensgeld zahlen. Soviel etwa wie ein durchschnittlicher WEF-Teilnehmer pro Tag an Spesen verjubelt.

Stärkung des Presseausweises
Das Urteil werten Medienverbände als Meilenstein für die Durchsetzung der verfassungsmässig garantierten Medienfreiheit: «Die Schweizer Polizei und Behörden dürfen Medienschaffende nicht mit der Begründung, dass Demonstrationen befürchtet werden, wegweisen und damit an der Ausübung ihres Berufes hindern, der schliesslich auch darin besteht, genau hinzuschauen», schreibt etwa Comedia in einer Stellungnahme. Die Gewerkschaft hat Gesll bei seinem Prozessmarathon bis nach Strassburg begleitet. Nicht zuletzt stärke das Urteil auch die Anerkennung des Presseausweises und ermutig Medienschaffenden, alle behördlichen Hinderungsversuche zu melden und wenn nötig mit rechtlichen Mitteln dagegen vorzugehen. (pv.ch)davos.jpg

Bereit fürs WEF: Speisesaal des Hotels Steigenberger Davos.