«Keuschheit ist immer relativ»

«Wie wird der Journalismus in 10 Jahren aussehen?» Zu dieser Frage fand am Mittwochabend im Ringier Pressehaus eine gut besuchte Podiumsdiskussion des Zürcher Pressevereins statt. Die prominente Runde mit Ueli Haldimann (CR SF DRS), Marc Walder (CR Sonntagsblick), Res Strehle (Stv. CR Tages-Anzeiger), Karl Lüönd (Medienkritiker) und Karin Wenger (freie Nahostkorrespondentin NZZ) diskutierte unter der Leitung von Annette Müller (freie Journalistin, u.a. Tages-Anzeiger).

Der prognostische Blick sollte sich für einmal nicht auf den Wandel in der Medienbranche richten, sondern vielmehr auf die Veränderungen der journalistischen Arbeit an sich. Annette Müller wollte darum zum Anfang wissen, ob die Arbeit von Journalisten, die für Gratiszeitungen oder Onlineportale hauptsächlich Agenturmeldungen verarbeiten müssten, denn überhaupt noch vergleichbar sei mit der zeitaufwändigen Tätigkeit von Journalisten renommierter Magazine. Der um griffige Vergleiche nie verlegene Res Strehle war der Ansicht, der journalistische Job bleibe im Prinzip derselbe, bloss seien die einen eher Kurzstreckenläufer, die anderen Langstreckenläufer. Ein junger Journalist müsse sich allenfalls am Anfang der Karriere überlegen, in welcher Disziplin er sich vorwiegend beweisen wolle.

Res Strehle (rechts) daneben Ueli Haldimann


Die auch von der Jungjournalistin und preisgekrönten Reporterin Karin Wenger vorgebrachten Vorbehalte gegenüber dem Kurzstreckenlauf mochte man in der Runde dann nicht uneingeschränkt gelten lassen. Karl Lüönd, betonte, es sei an der Zeit, dass man aufhöre dauernd Qualität und Niveau zu vermengen. Der Journalist sei ein Dienstleister am Leser, er müsse kundenorientiert denken. Die Runde schien sich einig zu sein, Journalisten müssten halt vermehrt Flexibilität aufbringen und sich dem Wandel in der Medienbranche stellen. Marc Walder ortete die Herausforderungen der Zukunft vielmehr auf der Ebene der Verlage, welche aktuell mit Orientierungslosigkeit kämpfen würden.

Von links Karl Lüönd und Marc Walder

Im Bezug auf die vielzitierte Medienkonvergenz sprach Walder von einer für Journalisten notwendigen «Newsroom-Mentalität». Ansonsten seien aber nach wie vor drei Elemente wichtig: «Critical Thinking», «Creative Reporting» und «Good Writing». Seien die Gratiszeitungen eine gute Werkstätte für Einsteiger, um «Good Writing» zu erlernen, so stellten die Diskutanten ausserdem eine erfreuliche Prestigeverschiebung fest, was die Arbeit bei Onlineportalen betraf. Nach anfänglicher Skepsis sei mittlerweile die Bereitschaft und Freude vieler Journalisten spürbar, im Internetbereich zu arbeiten.

Full house an der Podiumsdiskussion des ZPVs

Auf Anregung aus dem Publikum wurde im Anschluss einmal mehr die schwierig zu ziehende Grenze zwischen PR und Journalismus erörtert. Res Strehle verwies auf den soeben von rund 150 Redaktionen unterschriebenen «Code of Conduct». Ganz so keusch müsse er aber nicht tun, erwiderte Karl Lüönd, und zeigte mit einigen Beispielen auf, dass die Probleme der Abgrenzung komplexer sind. Worauf Res Strehle mit dem Bon Mot des Abends erwiderte: «Nun ja, Keuschheit ist immer relativ.» (pv.ch)

(Bilder: Felix Aeberli)