Klebrige Finger

Bundesrätin Doris Leuthard rief den Medienschaffenden anlässlich der Verleihung des Zürcher Journalistenpreises ins Gewissen. Nach schier endlosen Laudationes auf die sieben Preisträger gab es endlich Prosecco, Häppli und den ersehnten Small-Talk.

Die Bilder vom Anlass…

„Eine Frage von Nähe und Distanz oder die Rolle der Medien im Staat“, so lautete der Titel des Referats der Wirtschaftsministerin, die – vorbildlich klimaneutral – mit dem Zug nach Winterthur gereist war, und die Festgemeinde im Casinotheater warten liess. Bei Winston Churchill hatte sie sich die Entschuldigung geholt: „Wartende Journalisten sind gefährlich, vergeblich wartende Journalisten sind noch gefährlicher. Am gefährlichsten aber sind vergeblich wartende Journalisten, die untereinander Informationen austauschen.“

Dann begann sie mit der bundesrätlichen Predigt: Fundierte Kritik und sachliche Berichterstattung bringe sie, den Bundesrat und das ganze Land weiter, als kurzatmiges, auf Indiskretionen beruhendes Schlagzeilen-Bolzen. „Die Erwartungen, die ich an Politik und Verwaltung habe, habe ich auch an die Medienschaffenden: Von Ihnen erwarte ich mehr als nur Cola-Effekte. Nur die Flasche kräftig zu schütteln, den Deckel effekthascherisch zu entfernen und den Schaum für ein Ereignis zu halten, das ist zu einfach. Was hat man davon? Klebrige Finger und die Hälfte verschüttet!“

„Sie wollen wohl weder Hofnarr noch Hofberichterstatter sein. Sie wollen das Wirken der Politiker und die Wirkungen ihres Tun’s oder Nichttuns aufzeigen. Wir wollen nicht nur funktionierende Polit-Roboter sein. Wir wollen als Personen wahrgenommen werden, die sich in den Dienste der Öffentlichkeit gestellt haben.“ Es folgte ein artiger Dank an den Zürcher Presseverein, der mit seiner Stiftung und dem Journalistenpreis den Qualitätsjournalismus hoch halte und die seriöse Arbeit von Medienschaffenden fördere.

Die anschliessende Preisverleihung moderierte Esther Girsberger, die ob des hohen Besuchs etwas aufgeregt schien. Die Geehrten dankten den Lobesworten der Jury-Mitglieder. WOZ-Wissenschaftsredaktor Marcel Hänggi, der in seinem Text den damaligen ETH-Präsidenten Ernst Hafen porträtierte und dabei dessen Worthülsen entlarvte, zog Parallelen vom Rücktritt Hafens zum zeitgleichen Fall des Harvard-Präsidenten. Gabrielle Kleinert vom Sonntagsblick gestand der Festgemeinde, dass sie trotz Nähe zur Polizei Bussenzettel in grosser Zahl sammle. Im unklaren blieb ein Dankeswort an Frank A. Meyer, ohne den sie „heute nicht hier stehen würde“. Christian Schmidt, der eine Lose-Lose-Situation von Schwarzen und Weissen in Namibia aufzeichnete, zeigte Einblicke in das Arbeiten „unter erschwerten Bedingungen“ (Girsberger) von freien Autoren. Erst die 18. Version des Textes sei zur NZZ-Redaktion gelangt. Mit dem Preisgeld im Sack verschwand Schmidt umgehend in die Ferien. Weltwoche-Reporter Bruno Ziauddin, der den Preis vor 10 Jahren schon einmal entgegen nahm, gab die Blumen weiter an seinen Chef Roger Köppel und die WeWo-Kollegen: „Es ist nicht selbstverständlich, Platz zu bekommen für ein Thema, das weder aktuell noch sexy ist.“ Den 2007er-Preis bekam er für einen Text über die Generation 90+ im Altersheim Sydefädeli. Charlotte Jacquemart und Daniel Hug (NZZ am Sonntag) würdigten in etwas ungelenken Worten, dass die Auszeichnung an sie als Recherche-Team erging. Im angelsächsischen Raum sei dies die Regel, hierzulande die Ausnahme. Ihre Artikelserie zur Fusion Swissfirst/Bellevue haben sie trotz massivem Druck von Juristen, Bänklern und verängstigten leitenden Redaktoren realisiert.

Der für sein Gesamtwerk ausgezeichnete Karl Lüönd fragte die Jury: „Wollen sie mich mit dem Preis aus dem Verkehr ziehen“. Er habe sich gefragt, ob die Ehrung als „Kastration durch Bekränzung“ gemeint sei. Sein Werdegang zeige, dass Journalismus ein Beruf sei, in dem man es weit bringen könne, aber nur, „wenn man ihn rechtzeitig verlässt“. Er habe sich darum immer wieder auch im Verlegerischen versucht. Dabei sei er anderen Verlegern begegnet, die sich als „Teil der holzverarbeitenden Industrie“ verstünden. Die Zuhörerschaft nahm es erheitert zur Kenntnis. „Mich werden sie so schnell nicht los“, schloss Lüönd.

Erheiternd dann auch der Schlusspunkt, den der Haus-Kabarettist Mike Müller als stotternder Oberlehrer setzte. Die Schweiz umzingelt von Ausländern und die Medien als selbstreferenzielle Dampfmaschine waren seine Sujets. Szenenapplaus erhielt Müller für seine Bemerkung, der „Trumpf Buur erscheint ja jetzt wöchentlich.“ Es habe eine Weile gedauert, bis er realisiert habe, dass die Publikationen jetzt ein Welt-Wochen-Blatt sei. (pv.ch/dst.)

Die Rede von Bundesrätin Doris Leuthard in ganzer Länge (es gilt das gesprochene Wort).

Die „offizielle“ Ankündigung der Stiftung Zürcher Journalistenpreis zur Verleihung vom 12. Juni 2007.

Die Bilder vom Anlass…