Krawall-Schweizer gähnt!

In der Schweiz debattieren ein Deutscher und ein eingebürgerter Schweizer über die Deutschen in der Schweiz. Und in deutsche Talkshows wird immer nur Roger Köppel eingeladen. Warum? Weil die Schweizer in der Schweiz lieber gähnen als kämpfen.

Blick-Titelseite vom 9. Oktober 2013
Bild: Blick-Titelseite vom 9. Oktober 2013

Viele Schweizer Journalisten machen sich Sorgen, dass „Weltwoche“-Verleger und -Chefredaktor Roger Köppel immer wieder in deutsche Talkshows eingeladen wird. Weil er dort oft Dinge erzählt, hinter denen sie so gar nicht stehen möchten. Tatsächlich wird immer wieder Köppel eingeladen, was für seine Eloquenz spricht, aber auch für die Ideenlosigkeit deutscher Redaktoren bzw. den Unwillen von Deutschen, Meinungen zu vertreten, die nicht Mainstream sind. Einen anderen Punkt hat heute der „Blick“ herausgeschält. Jürg Auf der Maur, bisher Poltikchef des Blatts und ab Sommer 2014 Chefredaktor beim „Boten der Urschweiz“, schreibt:

Schweizer werden eingeladen, nicht weil sie auch im nördlichen Bundesland besonders beliebt oder bekannt sind. Sie dürfen kommen, weil sie pointiert ihren Standpunkt vertreten. Und zwar am besten quer zur landläufigen Debatte. Anders gesagt: Die Deutschen haben in ihren Sendungen jene Schweizer gern, die provozieren.

Ja, und weil es den deutschen Öffentlich-rechtlichen (fälschlicherweise) oft um die Quote geht; so läuft was am Stammtisch der Elite, „Talkshow“ genannt:

Die Deutschen wollen die Schweizer als Krawall-Exoten. Heidi im Nikab! Ein Schweizer Schweiz-Lästerer oder ein rechter Besserwisser: Das bringt Quote.

Debattieren in der Schweiz die Schweizer? Eher nicht so, dazu sind sie oft zu harmoniebedürftig, befand Christoph Plate, der über zehn Jahre als Journalist in der Schweiz war:

In der Schweiz wird weggeguckt und weggehört. Zivilcourage ist selten, wenn ein Brandstifter wie Christoph Blocher mal wieder gegen jene Menschen stachelt, ohne die in der Schweiz der Müll nicht weggefahren und die Patienten nicht operiert würden oder die Bilanzen nicht so gut aussähen. Wenn ich meine intellektuellen Freunde in der Schweiz fragte, warum denn kein Künstler, kein Denker, kein Politiker aufstehe gegen den gesellschaftlich anerkannten Zorn eines Blochers und seiner Mitstreiter, gegen deren Volksverhetzung, sagten Ernesto, Beat, Simone oder Charlotte: weil die kritischen Geister alle im Exil sind, meist in Berlin oder in Paris.

„Nichts wie weg!“ (nzz.ch, Christoph Plate)

Wem pauschal „geistige Enge“, „latenter Antisemitismus“, „Ausländerfeindlichkeit“, „die völlige Abwesenheit von Selbstironie“, „nicht vorhandene Streitkultur“ und „Zivilcourage ist selten“ unterstellt wird, sollte eigentlich explodieren und mit dem Schaum vor dem Mund wütend Konter-Tiraden in die Tastatur hämmern (vielleicht aber hat ja Plate auch recht). Immerhin: Peter Schneider, ein eingebürgerter Schweizer, hat zum Plate-Text „indiskret gegähnt“:

In diesem Fall habe ich indiskret gegähnt. Und mich über die Unbedarftheit eines politischen Journalisten geärgert, dem nichts Besseres eingefallen ist, als einen Wettstreit der Ressentiments zu inszenieren.

„Was spricht eigentlich gegen Behaglichkeit?“ (tagesanzeiger.ch, Peter Schneider)

Die Schweizer mischen also deutsche Talkshows auf und die Deutschen debattieren über Schweizer und Deutsche in der Schweiz. Als einer „kritischen Geister“, die „alle im Exil“ sind („in Berlin“), kann ich nur sagen: Liebe Schweizer in der Schweiz, debattiert etwas engagierter mit, greift auch mal wen an, kritisiert Missstände konkret und direkt, und seid nicht immer so wahnsinnig nett. Dann wird den Deutschen in der Schweiz nicht langweilig und je nachdem werdet ihr auch mal in eine Talkshow nach Deutschland eingeladen. Und nicht nur immer Roger Köppel.

Nachtrag, 22:30 Uhr: Die NZZ fasst den aktuellen Stand der „Nichts-wie-weg“-Debatte zusammen: „Der missverstandene Bünzli“.