Krise der Verleger

Die diesjährigen Bieler Comdays brachten eine wesentliche Erkenntnis: Die gegenwärtig Medienkrise ist hausgemacht – durch selbstzufriedene Verleger, die keinen Mut zur Innovation zeigen. Kollege TS rieb sich die Augen.

«Wir sind gut, wir sind toll, wir sind die Besten!» Etwa so könnte man plakativ die Vorträge jener Referenten zusammenfassen, welche etwas aus dem eigenen Hause zu berichten wussten. Gegen eine derart positive Botschaft besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist nichts einzuwenden.

Doch die Positionen dieser Referenten standen diametral zu den Positionen der «neutralen Medienbeobachter», also jenen, welche fernab der Tageshektik die Entwicklung der Medien im In- und Ausland beobachten.

Tödlicher Cocktail
So zitiert Sabine Ingwersen im Comdays-Blog den Geschäftsführer von Ringier Schweiz, Marc Walder, wie folgt: Die radikalen Veränderungen im Medienmarkt kamen nicht schleichend, sie erreichten die Verlagshäuser rasch. Sehr rasch. Hinzu kam die konjunkturelle Krise. Beides zusammen mischte sich zu einem gefährlichen Cocktail. Für viele Printprodukte sogar zu einem tödlichen.

Eine Stunde zuvor sprach Prof. Dr. Otfried Jarren, Prorektor an der Universität Zürich, jedoch genau vom Gegenteil: Die «Krise» ist im Kern keine «Krise», denn es handelt sich hier nicht um ein überraschend eingetretenes Ereignis, sondern es haben sich bereits bekannte Bedingungen partiell verschärft, und die die Industrie tragende Gruppe sieht ökonomische Nachteile heraufziehen.

Verzicht auf Innovation
Er geht, in unaufgeregtem Ton, mit den Medienunternehmern ziemlich hart ins Gericht: Es ist in dem Sinne tatsächlich eine «Krise» für die Tageszeitungsverleger, weil sie ihre bisherigen ökonomischen Strategiemuster nicht mehr nutzen können: Verzicht auf jegliche betrieblichen FuE-Tätigkeiten und somit auf publizistische Innovation intern, Übernahme erfolgreicher Innovationen bei Externen durch Aufkauf oder Marktbereinigung bzw. durch Imitation und Ausnutzung von vorhandener Marktmacht. Es ist eine Strategiekrise der Verleger.

Die Strategiekrise offenbart, dass ein wesentlicher Teil der Branche eben nicht zu publizistischen Innovationen fähig war bzw. sein wollte. Dies lässt sich auch an der bislang unzureichenden publizistischen Integration der vormals «Neuen Medien» wie Radio und Fernsehen in den Häusern zeigen.

Auch bezüglich des Einflusses der noch vorzunehmenden Veränderungen auf die Demokratie hat er eine klare Position:

Eigeninteresse der Politik
Per se beinhalten diese Veränderungen sicher nicht das, was die Akteure vorgeben, und weshalb sie jetzt um Subventionen oder weitere Privilegien nachsuchen. Und sollte die Politik hier mitspielen, so hat das wesentlich mit den kantonalen, regionalen oder lokalen Eigeninteressen zu tun.

Die Vertreter von Medienunternehmen dürften wohl nicht gerne gehört haben, wie Prorektor am Zürcher Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung ihnen die Leviten liest.

«Fehlentscheidungen und Innovationsschwäche»
Einer möglichen Manipulation scheinen sich die Amerikaner bewusster zu sein. So spricht Stephan Russ-Mohl, Professor an der Universität der italienischen Schweiz in Lugano, in seinem Vortrag über die Situation des Journalismus in den USA von einer «tiefen Skepsis gegenüber den Mainstream-Medien».

Im Comdays-Blog fasst Sabine Ingwersen seine Botschaft zusammen: «Wie sein Kollege von der Universität Zürich heute Morgen erkennt Russ-Mohl grosse verlegerische Fehlentscheidungen und Innovationsschwäche sowie qualitative publizistische Einbussen und Selbst-Kannibalisierung mit Gratis-Publika.»

Copy-and-pasted with respect from Augenreiberei/TS. (pv.ch)comdays.jpg