Lobbyist oder Journalist?

Der Journalist Otto Hostettler („Beobachter“) und der Ex-Journalist Oliver Classen („Erklärung von Bern“) diskutieren über das Wesen des Lobbyisten.

Screenshot ottohostettler.wordpress.com
Bild: Screenshot ottohostettler.wordpress.com

Die Diskussion startete vor etwa drei Wochen einer Reply auf einen Tweet:

Mit „Lobbyist“ gemeint ist natürlich Oliver Classen, der jahrelang als Medienjournalist aktiv war, seit einiger Zeit aber die Interessen der „Erklärung von Bern“ vertritt, einer Schweizer NGO „mit über 25’000 Mitgliedern“, die sich für eine „gerechtere Globalisierung“ einsetzt, so die Selbstauskunft.

Die weitere Entwicklung der Auseinandersetzung, in die sich, wie auf Twitter üblich, auch andere einmischten, hat Nick Lüthi auf Storify zusammengefasst.

Darauf schrieb PR-Arbeiter Oliver Classen in der „Werbewoche“, man müsse doch bitte unterscheiden zwischen „herkömmlicher“ und „notwendiger“ PR. Sich selbst zählte er zusammen mit den Journalisten zu den „strukturell Ohnmächtigen“, die sozusagen Seite an Seite „die Positionen und Institutionen politischer oder wirtschaftlicher Macht“ in Frage stellen.

Otto Hostettler sieht das anders. Zwei Wochen später reagiert er nun mit dem Beitrag „Warum ich mich gegen PR abgrenze“:

Classen sieht sich noch immer als Journalist, er ist sogar «konsterniert», mit klassischen Lobbyisten verglichen zu werden. Es gibt Journalisten, die sagen, er sei eben ein «guter» Lobbyist.

Und hier sind wir zurück beim Ursprungstweet von Hostettler, der Frage, was ein Lobbyist eigentlich an einem Recherchetag von Journalisten sucht:

Die Antwort ist einfach. Classen kam wegen der Journalisten. Selten versammeln sich in der Schweiz so viele neugierige, motivierte Journalistinnen und Journalisten an einem Ort. Gegen 80 an der Zahl konnte er am Recherche-Anlass auf einen Schlag treffen. Um seine Themen in Schweizer Medien zu platzieren, braucht Classen Zugang zu Journalisten. An diesem Treffen standen für ihn Aufwand und Ertrag in einem traumhaften Verhältnis. Effizienter kann Lobbyismus kaum sein.

Die Frage ist durchaus selbstkritisch gemeint: Hätten wir Journalisten andere Lobbyisten auch an der Tagung teilnehmen lassen? Etwa Thomas B. Cueni, Cheflobbyist von Interpharma, Jürg Wildberger von Hirzel.Nef.Schmid-Konsulenten. Wie so viele Lobbyisten waren auch Cueni und Wildberger einst Journalisten. Wetten, dass ein Aufschrei durch die Medienszene erfolgt, wenn der Interpharma-Chef am Recherchetag aufkreuzt?

Da wette ich mit, auf der Seite von Hostettler. Wettet jemand dagegen?

  1. Ich glaube auch, dass sich der Journalismus mit der Wahrheitssuche gemein machen soll, und die Frage, in wie weit das heute in den Redaktionen der Fall ist, ist angebracht. Aber Oliver Classen ist bezahlt, die Interessen einer NGO zu vertreten – im Zweifelsfall ist dieses Ziel wichtiger als die Wahrheitssuche.

    Fair wäre es, alle Lobbyisten an einem Journalistentag zuzulassen oder eben keine. Aber ehemalige Journalisten zuzulassen, weil sie altbekannt sind oder als Lobbyisten eine angeblich „gute“ oder „wichtige“ Sache vertreten (ich weiss nicht, was die Gründe waren und kann deshalb nur spekulieren), finde ich unangebracht. Hier unterstütze und teile ich die Bedenken von Otto Hostettler.

  2. Da wäre ich vorsichtig, mit Wetten, Ronnie Grob. Und nein, ich möchte nicht wetten, sondern diskutieren. Classen schloss seine Ausführungen mit dem Satz, die Diskussion scheine ihm hiermit eröffnet. Das finde ich auch. Eine dringend nötige Diskussion. Wir machen es uns zu einfach, mit dieser schwarz/weiss Aufteilung Journalist hier (schaut dem bösen Wolf ins Maul) und PR-Leute dort (stellen sich schützend vor den bösen Wolf).

    Es gibt noch ein paar Journalistinnen und Journalisten, die beste Arbeit leisten. Viele aber sind längst beim bad Business as usual angelangt.

    * Agenturmeldung – wenn’s hoch kommt – ein Telefon mit Aussender – kurzes Statement. Mix Statement mit Agenturmeldung. Fertig.

    * Agenturmeldung – ein bisschen online und Copy Paste und fertig.

    * Agenturmeldung- ein bisschen umschreiben, fertig.

    * Agenturmeldung – Interview mit vorgefertigten Fragen, kein nachhaken, niederschreiben, fertig.

    * Selten: Agenturmeldung, Herumtelefonieren, verschiedene Gesichtspunkte hereinholen, Interviews machen, nachhaken, SMD recherchieren etc etc etc. – (die Frage der fehlenden Zeit lassen wir hier mal einfach weg).

    Dann hast du die Horden von JournalistInnen, die für Wissenschafts-, Lifestyle-Magazine, Coop-, Migros-, Wohn- und Technikhefte und angewandte Orte schreiben. Grossteil der Arbeit: vorgefertigte Texte von Unternehmen redigieren. Nette Interviews führen. – Das sind alles auch Journalisten und Journalistinnen – und die Grauzone hier zwischen Journalismus und PR ist nicht mehr grau, sondern eine veritable Blackbox.

    Und die PR-Leute? Die vertreten ihre Unternehmen. Egal ob Pharma, oder Greenpeace. Korrekt. Sie sind für die Public relations da. Da ist es gopferdelli einfach die Aufgabe von Journis, zu fragen und nachzuhaken (und dabei möglichst viel Dossierkenntnis mitzubringen).

    Zudem: Von wo haben wir heute Zahlen und Fakten über Missständen von überall auf der Welt, wenn nicht von NGO???

    Nochmals: dieses PR-Leute Bashing ist mir zu simple und zu blauäugig. – Du sollst dich mit keiner Sache gemein machen…, dieses Zitat von Friedrichs, welches eh immer falsch zitiert wird, in Ehren, aber ich finde, der Journalismus hat sich sehr wohl mit einer Sache gemein zu machen: mit der Wahrheitssuche. Es ist die Suche, nach der Wahrheit, die diesen Job so grossartig macht, machen würde. Immer im Wissen, dass wir meist nur einen Teil der Wahrheit habhaft werden. Aber die Intention macht es aus.

    Keine Wette also. Eine Diskussion ist angebracht. Thema: »Das Selbstverständnis der Journalistin heute«, des Pudels Kern, nicht mehr und nicht weniger.

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