„Massstablosigkeit, Urteilsschwäche, selektive Wahrnehmung und Herdentrieb“

„Das Magazin“ und die „NZZ am Sonntag“ hieven Medienkritik in ihre Blätter – nach und nach kann so auch in den Printmedien (wieder) eine Debatte über die Medien und ihre Wirkung entstehen.

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Bild: Screenshot dasmagazin.ch

Im ausführlichen „Magazin“-Interview mit Mathias Ninck blickt der abtretende Stadtrat Martin Vollenwyder auch kritisch auf die Medien.

„Die Art, wie die Medien heute in der Politik eine Fleckenlosigkeit einfordern, hat es noch nie gegeben. (…) Mich stört die Selbstgerechtigkeit der Ankläger. Richtig schlimm ist aber, was die Medien mit ihrem Reinheitsterror in der Politik anrichten. Politiker verwenden mehr und mehr Energie darauf, keine Fehler zu machen. In dieser moralisch aufgebauschten Stimmung sind Politiker immer auf der Hut. Sie wägen jedes Wort ab. Am Ende entscheiden sie vor lauter Vorsicht gar nicht mehr.“

Und sagen eben auch nichts mehr. Viele Interviews sind ja deshalb so langweilig geworden, weil sich die Interviewpartner, aus Angst, einen Fehler zu begehen, extrem defensiv verhalten. Es ist wie bei einem Fussballspiel, wo eine Mannschaft 90 Minuten hinten drin steht – das wollen sich dann auch nur eingefleischte Fans ansehen.

Karl Lüönd nimmt den Text von Vollenwyder in der „NZZ am Sonntag“ auf und erkennt:

„Massstablosigkeit, Urteilsschwäche, selektive Wahrnehmung und Herdentrieb: Das deutet auf tiefer liegende Probleme, gegen die die meisten Medienbetriebe zu wenig unternehmen. Über 50 Prozent der amtierenden Chefredaktoren und Ressortleiterinnen sind führungsschwach, weil sie Management nicht gelernt haben. Zu viele Redaktionsteams sind nach Alter, Ausbildung und Herkunft zu wenig verschieden. Es fehlen vor allem die erfahrenen älteren Kolleginnen und Kollegen. Die sitzen nämlich längst in den Pressestellen von Firmen und Behörden oder zu Hause mit ihrem Burnout.“

Ja, es fehlt an den erfahrenen älteren Kolleginnen und Kollegen. Es fehlt aber auch an jungen Journalisten in Führungspositionen.

Das ganz grosse Problem aber bleibt die fehlende Verschiedenheit der Journalisten. Abbilden können Journalisten die Gesellschaft nur, wenn sie aus all ihren Schichten kommen.

„Vollenwyders Medienschelte zu Ende gedacht“ (nzz.ch, Karl Lüönd)
„Der letzte Unzähmbare“ (dasmagazin.ch, Mathias Ninck)