Meuterei auf der „Blick“

Das Führungskader der „Blick“-Redaktion stellt sich hinter die Chefredaktorin ad interim, Andrea Bleicher. In einem Brief bitten die Journalisten CEO Marc Walder, auf die ihr drohende Absetzung zu verzichten.

Brief an Marc Walder
Ausschnitt aus dem Brief an Marc Walder

Am Sonntag berichtete Francesco Benini in der „NZZ am Sonntag“, dass Andrea Bleicher, „Blick“-Chefredaktorin ad interim seit der Absetzung von Ralph Grosse-Bley im Februar, ihren Job nicht behalten wird – Kronprinz für den „Blick“-Chefsessel sei René Lüchinger, Ex-Bilanz-Chefredaktor und aktuell Weltwoche-Mitarbeiter:

Laut mehreren Quellen bei Ringier kann es Frank A. Meyer nicht mit Bleicher. Er legt Wert darauf, mit den Chefredaktoren des Hauses einen politischen Diskurs zu führen; den Austausch mit Bleicher hielt Meyer offenbar für zu wenig befruchtend. Ihr soll nun dem Vernehmen nach eine andere Stelle im Haus angeboten werden.

Damit sind einige der „Blick“-Redaktoren aber überhaupt nicht einverstanden. Sie schicken CEO Marc Walder einen für eine Boulevardzeitung ungewöhnlich wohlformulierten und wohlausgewogenen Offenen Brief (PDF-Datei), in dem sie darum bitten, Bleicher weiter als Chefin wirken zu lassen.

Unterzeichnet ist das an Eigenlob und Lob für Bleicher nicht arme Werk von Redaktoren in führenden Positionen. Die Unterzeichnenden stehen mit ihren Namen hin und scheuen sich nicht, mutige Worte an die Führung zu richten, die durchaus als direkte Kritik zu verstehen sind:

Der Verlag fand verschiedene Antworten auf die Krise: „linken“ Boulevard, Tabloid-­Format, zwei Chefredaktoren aus Deutschland. Wir und unsere Vorgänger trugen diese Entscheide immer loyal mit. Diese Geschlossenheit ist und bleibt eine Stärke von Ringier. Doch mit dem jetzt geplanten Wechsel an der Blick-Spitze ist die Grenze unseres Verständnisses erreicht. Wir halten ihn für ein abermaliges Experiment mit ungewissem Ausgang. Und das jetzt, da eine zentrale Neuerung – deren Bedeutung bei uns ausser Frage ist – richtig an Fahrt gewinnt: der Newsroom. Dass dessen Geist sich nach schwieriger Anlaufzeit endlich richtig entfalten kann, auch daran hat Andrea Bleicher massgeblichen Anteil.

Der Vorwurf der Experimente trifft, hat doch die Ringier-Spitze beim „Blick“ in den letzten Jahren fast alles ausprobiert – und das nur vereinzelt mit positiven Auswirkungen.

Es ist eine höchst interessante Konstellation: Auf der einen Seite ein motiviertes Redaktionskader mit einer Frau unter 40 an der Spitze – auf der anderen Seite die Ringier-Führungscrew mit Marc Walder und den altgedienten Herren Michael Ringier und Frank A. Meyer. Man kann nur hoffen, dass dieser Machtkampf, wie auch immer er ausgehen wird, Auswirkungen hat. Dass Journalisten solidarisch sind mit Führungskräften, die sie gut finden und Missstände nicht einfach hinnehmen, ist jedenfalls schon mal ein sehr positives Zeichen.

Nachtrag, 18:30 Uhr, auch Tagesanzeiger.ch schreibt darüber:

Zum Brief habe die Unternehmensleitung auch keine Stellung genommen, heisst es aus internen Quellen. Von dort ist aber zu erfahren, dass die Einsetzung Lüchingers bereits im Juli hätte erfolgen sollen. Als Andrea Bleicher ankündigte, sie werde Ringier verlassen, wenn man sie nicht bestätige, habe man noch zugewartet, was die Unternehmensleitung überrascht habe. Die Unternehmensleitung versuche, sie um jeden Preis zu halten. «‹Jeder Preis› ist dabei wörtlich zu verstehen», sagt eine interne Quelle. (…)

Gemäss weiteren redaktionsinternen Quellen wirft die Unternehmensleitung Bleicher zudem vor, sie habe sich zu wenig um die Bewirtschaftung der lukrativen Gewinnspiele – zum Beispiel das Käfer-Spiels – gekümmert. Dadurch seien dem Verlag massive Mindereinnahmen entstanden.

Nachtrag 2, 15. August, 8:30 Uhr: Persoenlich.com hat den Brief klammheimlich ausgetauscht. In der aktuellen Version sind die Namen der Unterzeichnenden nun nicht mehr vorhanden.