Wer frische, unverstellte Texte sucht bei der Zeitungslektüre, wird im „Kinder-Tagi“ fündig.
Schon lange nicht mehr hat mich ein erster Abschnitt so in eine Geschichte hineingezogen wie dieser hier:
Es ist ein nebliger Tag. Hans Meier, ein ehemaliger Bauer aus Maur, besucht uns in der Schule. Er trägt einen blauen Pulli und sieht darin alt und gebrechlich aus. Er ist schon 85 Jahre alt, daher ist es manchmal auch etwas schwierig, ihn zu verstehen. Nach jedem Satz folgt ein langes, fast trauriges Schlucken. Seine Stimme wirkt kratzig, oft klingt es so, als würde er gleich weinen. Obwohl Hans Meier zwei Hörgeräte trägt, versteht der ehemalige Bauer unsere Fragen nur mit Mühe. Er macht trotzdem einen netten Eindruck. Zu vielem hat er Interessantes zu erzählen. Und ein breites Grinsen erhellt immer wieder sein Gesicht.
Einfache, kurze, unverschwurbelte Sätze, genaue Beobachtungsgabe, starke Bildsprache, sofort ist man mitten in der Story drin.
Wer bloss ist dieser sicher preisgekrönte Journalist, der den Mut hat, eine Story so anzufangen? Der Blick wandert zur Autorenzeile:
Von der 5. Klasse, Team A, Schulhaus Leeacher, Ebmatingen
Aha. Und was bedeutet das nun?
– 12-Jährige schreiben beachtenswertere Texte als die Profis?
– Im Team arbeitet es sich besser als alleine?
– Eine literarisch begabte Lehrperson hat einen vielleicht ursprünglich nur mittelmässigen Text veredelt?
– Wer so schreibt von den Profis wird gnadenlos zurechtredigiert und hat keine Chance auf Veröffentlichung, weil sowas die Leser angeblich nicht lesen möchten?
Ich weiss es auch nicht. Um einen preisverdächtigen Text handelt es sich sicher nicht, sondern einfach um einen sehr guten Text von einem Team von 12-Jährigen, der perfekt passt auf eine Kinderseite. Aber vielleicht sollten wir mal darüber nachdenken, warum solche Texte mehr Pep und Mut haben als andere. Warum sie es wagen, die Wirklichkeit mit ganz eigenen Wörtern, Wendungen und Beobachtungen zu beschreiben. Warum sie herausragen aus dem Wust von Texten, die in Schweizer Zeitungen veröffentlicht werden. Und warum es eine Kinderseite benötigt, damit mal wieder frische, unverstellte Texte abgedruckt werden.