«Die Arbeiterpartei gab‘s gar nicht. Es war die Auto-Partei.»

Sie ist ein bekanntes Gesicht, liefert Einschätzungen aus dem Bundeshaus via Leutschenbach direkt in die Schweizer Stuben. SRF-Journalistin Nathalie Christen erzählte am ZPV-Podium von ihrem Werdegang, Elefantenrunden und Anfängerfehlern.

Ein eisiger Novemberabend in Zürich. Doch Nathalie Christen (50) strahlt herzliche Wärme aus, als sie im Volkshaus über ihre Arbeit spricht. Es ist die erste ZPV-Veranstaltung seit über 18 Monaten.

Heute ist Christen eine verdiente Journalistin, die sich im rauen Politjournalismus schon lange etabliert hat. 2020 wurde sie zur Politjournalistin des Jahres gewählt. Aber ihr Lebenslauf führt durch die halbe Schweiz, durch den Äther, Papier und Film.

Wie alles anfing, wollte Gesprächspartner und Vorstandsmitglied Boas Ruh wissen. «Der Journalismus liegt mir quasi in den Genen», antwortet Christen lachend und erzählt von den Rauchschwaden in der Redaktion ihres Grossvaters im St. Galler Rheintal.

Bei der SI lernte ich, verständlich zu schreiben.

Den eigenen Einstieg im Journalismus fand sie dann, wie viele andere, im Schaffhauser Radio Munot. Dort lernte sie nicht nur das schnelle Radiohandwerk, sondern machte auch die Fehler, die alle Journalist:innen traumatisieren.
Christen erinnert sich, wie sie zum ersten Mal von einer Ratssitzung berichten durfte. Zum Verhängnis wurde ihr die Abkürzung «AP». Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wofür die Abkürzung stand. In der Live-Hektik wurde aus «AP» schnell die «Arbeiterpartei». Der Clou: «Die Arbeiterpartei gab’s damals in Schaffhausen gar nicht. Es war die Auto-Partei.»

Diese Anfängerfehler konnten Christen nicht beirren. Sie zog weiter zur Schweizer Illustrierten, bearbeitet dort die Themen Show und News. «Bei der SI lernte ich, verständlich zu schreiben», reflektiert sie heute.

Später wechselte sie zum SonntagsBlick, danach heuerte sie bei Radio DRS an, durchlief verschiedenste Positionen, dann weiter zum Fernsehen: Arena, 10vor10, dann Bundeshaus. Niemand zweifelt mehr an ihrer Kompetenz. Meistens erhalte sie positives Feedback, erklärt Christen, aber man dürfe sich selber nicht zu wichtig nehmen: «Du bist eine Projektionsfläche – für Negative, aber auch das Positive.»

Als Star fühle sie sich trotz Kamerapräsenz nicht. Manchmal werde sie schon auf der Strasse erkannt, gibt sie zu. Aber dass Nathalie Christen doch eine grosse Sympathieträgerin ist, spürt man im Volkshaus. Bestätigen tun dies, so man will, auch Berichte in der Glückspost oder der Schweizer Illustrierten. Und wenn man darüber nachdenkt, ist diese Popularität umso beeindruckender, wenn man bedenkt: Wir sprechen hier immer noch vom oft sehr trockenen Politjournalismus.

Das hat vermutlich zwei Gründe. Der Erste: «Ich bin vor der Kamera wie ich bin. Wenn ich jemanden am Fernsehen mag, dann, weil die Person authentisch ist.»

Der Zweite: Christen ist unbestechlich in ihrer Haltung. Für sie sind journalistische Werte unverhandelbar. Ausgewogenheit, Relevanz, Fakten; das sind die Ultimativen, nach denen sie arbeitet. Immer wieder relativiert sie Generalaussagen, schiebt Erklärungen für gerade gemachte Aussagen nach. Prägnant, aber detailverliebt. Plakativ, aber mit Tiefgang.

Natürlich verliert sie auch negative Worte zur Branche. Wäre der Politjournalismus ein Mensch, wäre er angeschlagen. Wirtschaftliche Realitäten machen der Branche zu schaffen, das spüre sie auch im SRF. Mehr Kanäle müssen mit immer weniger Personal bespielt werden.

Am Ende überwiegt dennoch der Optimismus und die Liebe zum Beruf. Sie habe im Laufe der Jahre schon von fast allen Parteien Jobangebote erhalten. Bisher hat sie diese immer abgelehnt – und hoffentlich bleibt das so.

Lieber setzt sie sich beharrlich für die Frauen ein. Sie hat kürzlich ein Buch mitverfasst: «Schweizer Politfrauen – 21 Portraits, die inspirieren». Und Nathalie Christen ist jedes Mal aktiv beim «Editathon» dabei, einem Event, bei dem gezielt Einträge über Frauen auf Wikipedia verfasst werden.

Boas Ruh zückt den ausgedruckten Wikipedia-Artikel von Nathalie Christen aus einer Klarsichtmappe und fragt: «Was fehlt bei deinem Eintrag?»

Nathalie Christen lacht und meint: «Das Buch. Ich habe überlegt, ob ich es selber eintragen soll. Das ist ja nichts Verwerfliches. Aber ich hab mich dann doch dagegen entschieden…»

Vielleicht ist das der dritte Grund für die Sympathie: Bescheidenheit.