Nicht nur Eric Gujer ist ein Abhör-Opfer

Letzte Woche ging die Meldung durch, dass wohl auch NZZ-Chefredaktor Eric Gujer abgehört wurde. Es bleibt zu erinnern, dass wir alle Abhör-Opfer sind.

Eric Gujer im Schweizer Journalist
Foto: „Schweizer Journalist“ 06/07-2015, Seite 34/35, Ronnie Grob

„NSA hat wohl Eric Gujer belauscht“, meldete letzte Woche der Branchendienst Persoenlich.com. Die Meldung, dass Gujer, der sich in der Vergangenheit immer wieder für weitreichende Möglichkeiten von Geheimdiensten starkgemacht hat, nun selbst Opfer wird einer solchen Überwachung, hat was.

Wiederum ist die Persoenlich.com-Meldung auch Nonsens. Seit der Veröffentlichung der Snowden-Leaks wissen wir über die anlasslose Überwachungstätigkeit der NSA – sie betrifft uns ausnahmslos alle (hier eine Serie zum Thema von 2014). Nicht nur Kanzlerin Merkel, ihr Kabinett oder der NZZ-Chefredaktor sind Abhör-Opfer, sondern potentiell alle.

In einer Titelgeschichte der Zeitschrift „Schweizer Journalist“, die es nicht bis auf den Titel schaffte, versuchte Christof Moser etwas Licht in die intransparenten Geheimdienst-Beziehungen von Eric Gujer zu bringen. Und stiess dabei auf Widerstand. Nicht nur antwortete die NZZ ausweichend. Es machte auch den Anschein, ihr wäre am liebsten gewesen, dazu wäre gar keine Geschichte erschienen. Auf die Fragen von Moser antwortete die NZZ-Pressestelle nur ausweichend. Die „Unabhängigkeit der journalistischen Arbeit“ von Gujer hätten seine Geheimdienstkontakte nicht „in irgendeiner Weise“ beeinträchtigt.

Im Watson.ch-Text „Die 6 lustigsten Pro-Geheimdienst-Zitate des abgehörten NZZ-Chefredaktors Eric Gujer“ kann man nachlesen, was Gujer so schreibt über die Überwachung und insbesondere über Edward Snowden. Keine Frage, Edward Snowden ist ein Verräter, und man kann das auch x-mal so schreiben. Doch auch wenn sie von Watson.ch als lustige Zusammenstellung angekündigt ist, so ist sie doch eher traurig, denn gerade ein liberaler Journalist sollte doch im Zweifel auf der Seite des einzelnen Bürgers stehen, und nicht auf der Seite der Sicherheitsgarantien vorgebenen Staats und seiner Geheimdienste.

Inzwischen hat sich Gujer, was seine persönliche Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit betrifft, eines Besseren besonnen und auf Anfragen geantwortet. So zum Beispiel gegenüber dem Medienmagazin „Zapp“:

Und auch gegenüber Watson.ch nahm Gujer persönlich Stellung:

«Die Medienfreiheit steht in demokratischen Rechtsstaaten unter einem besonderen Schutz. Sollte die NSA tatsächlich Journalisten abgehört haben, ist dies als eine Verletzung der Medienfreiheit zu verurteilen. Ein solches Verhalten wäre eines demokratischen Staates unwürdig. Um unsere journalistische Aufgabe in einer freien Gesellschaft auszuüben, müssen wir unsere Quellen schützen können.»

Aber, so fragt man sich an dieser Stelle unweigerlich: Was ist mit den Bürgern? Haben die etwa kein Recht auf Privatsphäre?

Immerhin gibt es auch Lichtblicke im NZZ-Universum. In der heutigen „NZZ am Sonntag“ durfte Anwalt Martin Steiger in deutlichen Worten erläutern, dass staatliche Organe, die Trojaner einsetzen und genehmigen, den demokratischen Rechtsstaat verspotten.

Traurig an der ganzen Überwachungsdebatte ist, dass viele Journalisten keine Ahnung haben, wie tiefgreifend es ist, was Edward Snowden publik gemacht hat. Noch trauriger ist nur, dass sie sich darüber nicht informieren möchten.