Ohne Hakenkreuz

Das Verlagshaus Ringier hat aus seinem Jahresbericht 2006 in letzter Minute ein Hakenkreuz entfernt, das der US-Künstler Richard Phillips zur Illustration anbringen wollte. An der Zensur vorbeigekommen sind Phillips erotische Zeichnungen, etwa „Akt auf Schwein“, „Geknetete Brüste“ oder „Untitled (Fuck you)“.

Über Geschmack lässt sich streiten. Glücklicherweise muss sich Michael Ringier nicht prüden Publikumsaktionären stellen, die ihm an der Generalversammlung den Geschäftsbericht um die Ohren hauen. Denn Ringier ist ein Familienbetrieb, die GV ein intimes Treffen, und sein Chef ein Kunstsinniger. So gestalten seit Jahren bekannte und weniger bekannte Künstler den Tätigkeitsrapport des Unternehmens, und erregen damit meist ein wenig Aufsehen.

Erregen soll den lüsternen Betrachter auch der dieses Jahr in sattem Grün eingeschlagene Geschäftsbericht. Ein Dutzend halbnackte oder gänzlich entblösste Frauen „in Kohle und Kreide auf halbergrautem Papier“ zieren den Bildteil des Büchleins, den der New Yorker Künstler Richard Phillips mit grosser Freiheit gestaltete. Nur bei dem Nazi-Symbol, das Phillips verwenden wollte, verstanden die Verantwortlichen kein Pardon. Der in altmodischer, an die Fraktur errinnernde Schrift gesetzte Bericht lässt sich hier ansehen und herunterladen…

Michael Ringier erklärt im Vorwort die irritierenden Illustrationen: „Eine Schrift, die wir mit der Nazizeit in Verbindung bringen, ein Emblem, das zum Horrorsymbol einer ganzen Generation wurde, Worte wie ‚Fuck you’, die wohl noch nie jemals in einem Geschäftsbericht verwendet wurden und Zeichnungen von entblössten Frauen – auch nicht grade Standard in einem Jahresreport. Richard Phillips hat uns nicht einfach provoziert – er hat uns auf die Probe gestellt. Er hat uns – intellektuell – herausgefordert und er hat intensive Diskussionen ausgelöst.

Die Frage, was man wo publizieren darf und was nicht, ist für einen Verlag eine zentrale Frage, welche jeden Tag aufs Neue beantwortet werden muss. Verleger, Journalisten und Künstler wissen, dass es darauf keine einfachen Antworten gibt und keine absolute Wahrheit. Es geht immer wieder um die Abwägung von Argumenten, um die Berücksichtigung von besonderen Sensibilitäten, um die individuelle Bewertung, was in welchem Medium, an welchem Ort, statthaft ist.

So haben wir ganz bewusst auf die Abbildung einer Swastika verzichtet – übrigens mit dem vollen Einverständnis des Künstlers. Der Missbrauch dieses Emblems hat als Symbol für das Böse über Millionen von Menschen in Europa und ganz besonders in Osteuropa, wo Ringier in vielen Ländern eine zentrale Rolle im Medienmarkt spielt, unendlich viel Leid gebracht. Aus Rücksicht auf unsere Mitarbeiter und Geschäftspartner in diesen Ländern haben wir dieses Bild weggelassen.“

In einem Interview, das Beatrix Ruf mit dem Künstler geführt hat, sollen allfällige Missverständnisse ausgeräumt werden.

„Können sich die Bilder des Jahresberichts einer ästhetischen Kontextualisierung entziehen? Wie können sie zu Diskussionen über die komplexe Beziehung zwischen historischen Fakten und den politischen Mächten und der Gesellschaft unserer Tage anregen?“

„Die Bilder sollen sich der Wahrnehmung in diesem Kontext nicht entziehen. Sie sind vielmehr dazu bestimmt, die Gefahren, die eine Akzeptanz ästhetischer Signale als stabile Bedeutungsträger beinhaltet, blosszulegen und ihnen entgegenzuwirken. Die Bilder des Berichts werden zu einem visuellen Ausschlupf oder dokumentierten Ventil, das aus dem logischen Aufbau eines Rechenschaftsberichts über das Wirtschaftsjahr eines Unternehmens hinausführt.“

Noch Missverständnissse?

Der Künstler Richard Phillips und der Ringier Jahresbericht 2006… (Auf die Wiedergabe des künstlerisch wertvollen Bildmaterials im Innern wollen wir hier für einmal verzichten…) (pv.ch)