Presseball – schreiben, was war

Samstag. Presseball. Ausgerechnet jetzt sperrt Zürich eine zentrale Brücke. Stau. Taxis und Limousinen der Schönen und Reichen fahren mit leichter Verspätung vor dem Zurich Marriott vor. Nicht mal der Bundesrat darf Blaulicht nutzen. Doch kurz nach 18 Uhr gehts los. Etwa mit einer Grossdelegation aus dem Hause Tamedia, das bei der baldigen Lancierung der TA-Regio-Splits hoffentlich keine Verspätung hat. Etwas Verspätung wird die «Südostschweiz am Sonntag» haben, die ihren Ballbericht, im Gegensatz zur Konkurrenz, erst in einer Woche bringt (Vorteil: ausgefeilte Sätze, nicht wie bei dieser Online-Berichterstattung). Oder mit einer Grossdelegation von Schweizer Presse. Vor allem aber vom Zürichberg und dem Wirtschafts-Zürich. Smarte Herren und schöne Damen in prächtigen Roben. Champagnerempfang. Arabella Kiesbauer und Rainer Maria Salzgeber als Moderatoren. Zypern als Gastland. Viergänger mit zypriotischem Einschlag. Traditionsgemäss wird am Zypern-Tisch – mit Generalkonsulin, Tourismusvertretern und Miss Mittelmeer – auch während des Essens geraucht. Die Ball-Organisation hat den Tisch deshalb direkt unter der Lüftung platziert. 22 Uhr. Eintreffen der Nach-Dinner-Gäste. Und Start der Tombola, bei der es ein Dutzend Traumreisen und teuren Schmuck zu gewinnen gibt. 22.30 Uhr. Balleröffnung. Walzer. Es rauscht einmal mehr die Ballnacht. Tele-Züri-Chefmoderator Hugo Bigi kommt aus seiner Suite, wo er sich vorher die TV-Show mit Hansi reingezogen hat. Nun spielt er auf dem 2. Floor mit der Journalisten-Band «Groove this». Die einzigen die nicht tanzen sind die vielen Männer (und eine Frau) mit Knopf im Ohr, die Blocher und die anderen Politiker nicht aus den Augen lassen. In der Männertoilette gibt es hochkarätige Gespräche von Wirtschaftsleuten zu überhören. Mitternachtsshow. Später Romantik auf den drei Dancefloors, in den Lounges und auf den zwei Terrassen. Tombola-Ziehung. Mit einer demotivierten Miss Mittelmeer und einer Jung-Journalistin, die dieses Jahr nicht nur den Journalistenpreis gewann, sondern jetzt auch noch einen 10‘000-fränkigen Tombola-Hauptpreis. Der Tagi-Chef hingegen muss sich mit einem Abo von «Vinum», das er ohnehin schon abonniert hat, zufrieden geben. Vorgerückte Stunde. Die Eingangskontrolle wird lasch. Zaungäste ohne Ticket tanzen fröhlich mit. «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel, der extra nicht am Bundesratstisch sass, weil ihm das doch etwas viel Nähe zur Macht gewesen wäre, ist einer der gefragtesten Gesprächspartner an diesem Abend. (Wohl etwas neidische) Kollegen bieten herum, was Google noch so Interessantes an den Tag bringt, wenn man den Titel des berühmten Köppel-Editorials «Schreiben, was ist» eingibt. Der 77. Presseball bietet Storys zu Hauf. Nur einer hat Pech. Ein Fotograf, der gleich für zwei Zeitungen fotografieren sollte, verschlief und kam 3 Stunden zu spät. Seine Journalistin hatte mittlerweile beherzt einen Gast angeheuert. Apropos verschlafen: Präsentatorin Arabella Kiesbauer schläft gegen Ballende versehentlich ein in ihrer Suite und verpasst die letzte Moderation, die Rainer Maria Salzgeber witzig alleine meistert. Viel gefragt sind die Gedanken- und Handleser, welche den Ballgästen die Zukunft voraussagen – was im Business mit sinkenden Auflagen insbesondere auch Chefredaktoren und Verleger interessiert. Tombola-Preise und Ballgeschenk (sowie den Pelz an der Garderobe) holen. Am 3. Floor in Ausgangsnähe, auf dem nun echt die Post abgeht und auf dem auch ein paar bekannte Journalisten zu Robbie-Williams-Sound tanzen, kommt fast niemand ohne ein letztes Tänzchen (oder wenigstens einen letzten Cognac) vorbei. Abkassieren. Die Gastarbeiterin aus dem Norden verlangt versehentlich Euro. Die Nacht ist lang geworden. Stau hats nun keinen mehr. Katerfrühstück im Kongresshaus. Später auf dem Nachhauseweg hält das Taxi an der ersten Zeitungsbox. Wow. Druckfrische Presseballberichterstattung. Für einmal waren die Kollegen vom Print schneller als die vom Online. (pv.ch)