Saubere, verschämte Schweiz

Christof Moser vermisst den Popjournalismus in den Schweizer Medien. Statt Action und Gefühle werde der Journalismus „immer sauberer, oberflächlicher und verschämter“. Man muss ihm recht geben.

Literarischer Monat

Im „Literarischen Monat“, der die 1000. Ausgabe (!) des „Schweizer Monat“ begleitet (wozu wir herzlich gratulieren möchten), trifft Michael Wiederstein den Rivella-Trinker Christian Kracht. Und Christof Moser, angestellt bei der Zeitung „Sonntag“, ist mit einem recht wütenden Text vertreten, der in den Schweizer Medien das vermisst, was ihn selbst einst für den Journalismus begeistert hat. Popjournalismus:

Den Rausch der Gefühle, das eigene Empfinden in seiner radikalen Subjektivität in Worte fassen. Sich in Geschichten auflösen, das Ich auflösen im Wir. Bestenfalls erbarmungslos scharfe Beobachtungen, die auch Selbstentblössung nicht scheuen. Autoren, die sich nicht zu schade sind, so weit zu gehen, bis es schmerzt und schmutzig wird, die flüchtige Momente festhalten, in denen das grosse Ganze aufblitzt.

Stattdessen: Langeweile. „Das Magazin“ sei unter Finn Canonica „harmlos und bünzlig“ geworden, die „Weltwoche“, „das letzte Schweizer Blatt, das den Zeitgeist auf bedruckten Seiten bändigte“, habe sich 2003 mehr oder weniger von solchen Texten verabschiedet. Und auch von den Jungen sei nichts zu erwarten:

Der Wirrniss aus Wahrheiten, Teilwahrheiten und Lügen, der Heuchelei, an der die Welt zugrunde geht, ein trotziges Ich entgegensetzen ist die Sache der Schweizer Journalisten nicht. Eine ganze Generation junger Journalisten macht Journalismus wie Banken ihre Finanzgeschäfte: kühl berechnend im Hintergrund, ohne eigenes Risiko.

Man kann Moser einfach nur recht geben. Die wenigen wirklich fetzigen Texte, die im Schweizer Medien noch erscheinen, decken die Langeweile des Rests wie Feigenblätter ab. Viele Redaktionsleiter denken sich wohl: Warum unsere Leserschaft unnötig vergraulen, wenn wir ja doch kaum junge Leser haben? Doch diese Rechnung ist fatal, sie führt auf direktem Weg in die Rentner-Bespassung, ein buchstäblich dem Tod geweihtes Business, das viele Printmedien schon längst ausüben.

Vielleicht müsste es Popjournalismus vermehrt im Internet geben? Ja, aber auch nicht zwingend: Wenn es überhaupt ein kluges Printmagazin geben würde, das sich auch an Menschen wendet, die nicht hauptsächlich mit der Erziehung ihrer Kinder beschäftigt sind, dann würde das auch gekauft und abonniert.

„Die Sache mit der Sauberkeit“
(schweizermonat.ch, Christof Moser)