„Sind wir, die Journalisten der grossen Zeitungen, unehrlich?“

Ein politisch aktiver werdendes Publikum setzt die Redaktionen und Ombudsstellen mit Reaktionen, Gegenmeinungen und Beschwerden unter Druck. Die „Zeit“ reagiert – und besucht Leserbriefschreiber.

Screenshot zeit.de

Bereits 90 Beschwerden sind eingegangen auf der Ombudstelle der SRG wegen diesem „Rundschau“-Beitrag, „Kampf um den Gripen“:

Ein neuer Rekord, gibt Ombudsmann Achille Casanova dem Tages-Anzeiger zu Protokoll:

80 Beschwerden kritisieren den Beitrag als zu Gripen-kritisch, 10 beanstanden, dass Gripen-Kritiker zu wenig zu Wort gekommen seien.

Und auch sonst macht das Publikum den Journalisten neuerdings Druck. Bernd Ulrich, Ressortleiter Politik bei der „Zeit“, fragte sich kürzlich, weshalb die Krimkrise von den Bürgern so ganz anders gesehen wird als von den Journalisten in den Redaktionen und anderen Teilen der so genannten Elite:

Wenn die Umfragen nicht täuschen, dann stehen zurzeit zwei Drittel der Bürger, Wähler, Leser gegen vier Fünftel der politischen Klasse, also gegen die Regierung, gegen die überwältigende Mehrheit des Parlaments und gegen die meisten Zeitungen und Sender. Aber was heißt stehen? Viele laufen geradezu Sturm, bei den Leserbriefen scheint der Anteil der Kritiker noch deutlich höher zu sein als seinerzeit anlässlich von Sarrazins Buch.

Ein anderer „Zeit“-Journalist, Stefan Willeke, wollte der Sache auf den Grund gehen und kontaktierte jene Leserbriefschreiber, die sich über einen Verriss des Buchs „Deutschland von Sinnen“ von Akif Pirinçci durch Ijoma Mangold beklagen, das derzeit die Bestsellerlisten anführt. Herausgekommen ist ein längerer Text, der zur Lektüre empfohlen ist:

Sind wir, die Journalisten der großen Zeitungen, unehrlich? Man muss über uns keine Studien anfertigen, um zu erkennen, dass wir stärker zum rot-grünen Milieu tendieren als die meisten Wähler. Natürlich stammt kaum jemand von uns aus einer Hartz-IV-Familie. Natürlich leben wir viel zu oft in denselben bürgerlichen Stadtteilen derselben Großstädte, in Berlin-Prenzlauer Berg oder in Hamburg-Eppendorf. Altbau, hohe Decken, Fischgrätparkett. Natürlich leidet unser Blick auf die Welt unter dem Eppendorf-Syndrom. Aber nur, weil wir selbst in einer Homogenitätsfalle der urbanen Mittelschicht stecken, wird nicht der Umkehrschluss zulässig, Pirinçci leiste aufrichtige Basisarbeit. Viel unheilvoller ist es, wenn der Demagoge Pirinçci von seiner Bonner Villa aus die Geräusche der Straße imitiert, um damit reich zu werden.

„Wir Dummschwätzer?“ (zeit.de, Stefan Willeke)