Turkmenistan vs. Schweiz 4:1

Die Schweiz wird besucht von Turkmenistan, einem Land fast ohne Pressefreiheit. An der Pressekonferenz sind den Journalisten Fragen erlaubt. Aber nicht mehr als zwei. „Turkmenische Verhältnisse“ seien das, schreibt Kathrin Ammann von der „Aargauer Zeitung“.

Screenshot nzz.ch

Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2011 weltweit der Reporter ohne Grenzen belegt Turkmenistan den 177. Platz, den drittletzten, hinter China, Iran und Syrien sowie vor Nordkorea und Eritrea.

Der Präsident des Landes, Gurbanguly Berdymuchammedow, wurde am Montag von der Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf mit militärischen Ehren empfangen. Aber kommen wir zur journalistischen Seite der Sache, der anschliessenden Pressekonferenz. Markus Häfliger schreibt in der NZZ:

Nach ihren Ansprachen geben die beiden Präsidenten eine Art Pressekonferenz. Vom Schweizer Fernsehen ist eine Kamera präsent; aus Turkmenistan sind es vier, allesamt von staatlichen Sendern. Zu vermuten ist, dass die turkmenische Staatspropaganda den Empfang in der Schweiz entsprechend vermarkten wird. Private Medien gebe es in seinem Land nicht, sagt ein Mitglied der turkmenischen Delegation offenherzig. Schon im Vorfeld hat eine Schweizer Beamtin klargemacht, dass die Journalisten der beiden Länder nur je zwei Fragen stellen dürften. Und so einigen sich die Schweizer Journalisten konzernübergreifend auf eine nette Frage zu den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen und eine kritische zu den Menschenrechten. Letztere dreht sich um die Tatsache, dass Turkmenistan auf allen Menschenrechts- und Freiheits-Rankings regelmässig auf den letzten Plätzen landet.

Ist das also wirklich Realität? Eine Pressekonferenz findet auf Schweizer Boden statt und die Schweizer Journalisten müssen sich gemeinsam und „konzernübergreifend“ auf zwei Fragen einigen, weil ihnen mehr nicht erlaubt wird?

Markus Häfliger hätte gerne mehr Fragen gestellt, wie er schreibt:

Gerne hätte man nachgefragt.

David Hesse vom formulierte in der Montagsausgabe des „Tages-Anzeigers“ gleich sieben Fragen, von denen er also keine einzige stellen konnte. Auch er stellt fest:

Gerne hätte man weitergefragt.

In der „Aargauer Zeitung“ stellt Kathrin Ammann dann das Offensichtliche fest:

Die anwesenden Journalisten konnten nicht nachfragen, da insgesamt nur zwei Fragen erlaubt waren. Mit anderen Worten: Um sich internationalen Einfluss zu bewahren, ist die Schweiz gerne bereit, an einer Medienkonferenz auch einmal turkmenische Verhältnisse walten zu lassen.

Statt mit den turkmenischen und Schweizer Regierungsleuten zu kooperieren – wäre es im Sinne der Pressefreiheit nicht vielleicht klüger gewesen, wenn die Journalisten die Pressekonferenz einfach boykottiert hätten? Wenn solche Vorgänge stets ohne Protest akzeptiert werden, muss man sich doch nicht wundern, wenn die Schweiz auf der Pressefreiheits-Rangliste nächstens aus den Top Ten rutscht. 2011 war die Schweiz noch auf Rang 8. Vor den Kapverden. Aber hinter Österreich.

Ich habe die drei berichtenden Journalisten kurz angefragt, was sie davon halten, per E-Mail. Eingehende Rückmeldungen werden hier veröffentlicht.

Nachtrag, 11. Oktober 2012, 7:50 Uhr: Die NZZ reagiert und kommentiert den Fall unter dem Titel „Turkmenischer Bückling“ durch Inlandchef René Zeller:

Die offizielle Schweiz hat sich beim Besuch der turkmenischen Delegation einen Bückling geleistet, der inakzeptabel ist. Es soll hier nicht ein Skandal herbeigeschrieben werden. Gleichwohl muss deutsch und deutlich kritisiert werden: Es ist unstatthaft, die Presse aufzubieten, um den diplomatischen Händedruck zu orchestrieren – und die Journalisten wie Lemminge zu dressieren.