Verbürgte Nähe

Für die einen sind es Laien, die sich ohne Relevanz und unprofessionell zu allem und jedem äussern. Für die anderen gilt Bürgerjournalismus als tragender Pfeiler einer Medienrealität von Morgen, die auf Partizipation und Nähe baut.

Die Laien übernehmen. In den Tagebüchern der Blogger, auf dem Boulevard, mit Live-Bildern und mit der Handykamera geschossenen unscharfen Nachrichtenbildern, bei der Jagd nach Verbechern und in Kommentaren zu Meldungen, immer mehr und überall teilt sich eine neue Medienöffentlichkeit mit, jenseits der traditionellen Gewaltenteilung mit Journalisten hier und Konsumenten dort. „Im professionellen Journalismus hingegen herrscht Skepsis allein schon gegenüber mehr Bürgernähe. Dabei könnten sich Bürgerjournalismus und bürgernaher Journalismus gut ergänzen,“ meint der Berner „Medienprofessor“ Roger Blum dieser Tage in der NZZ.

Was in den USA längst Usus ist, habe es in Europa nach wie vor schwer, stellt Blum fest, der Public Journalism, jenes journalistische Konzept, das die Bürgerperspektive stärker in die Medienarbeit einbezieht. Medienschaffende reden dabei nicht mehr nur mit Promis und Vertretern der Institutionen, sondern auch und vermehrt mit Betroffenen. Sie fühlen den Puls der Bürgern, nehmen auf, was im Diskurs des breiten Publikums beschäftigt, holen die „einfachen“ Menschen in die Redaktionen und lassen sie zu Wort kommen. Dabei sind es immer noch die Profis, welche die Inhalte auswählen, einordnen, bearbeiten und transportieren.  

Jetzt aber nehmen die Laien selbst das Heft in die Hand, beim Bürgerjournalismus (Citizen Journalism) im engeren Sinne, der sich abgrenzt vom bürgernahen Journalismus. Während beim Public Journalism die journalistischen Profis das Heft in der Hand behalten, treten beim Citizen Journalism die Laien in den Vordergrund. Erst die neue Techniken, von der Digitalkamera bis zur Weblog-Software, erlauben „die früher völlig undenkbare massenhafte Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern“ (Blum). Des Professors Fazit: „Es scheint, dass Schweizer Journalisten ein wenig Angst haben.“

Immerhin, neue Formen der Beteiligung sind erkennbar: Tagi und NZZ veranstalten in ihren Betriebskantinen wortlastige Podiumsdiskussionen, die interessierte Leserschaft darf hören, schauen und nahe dran sein. Auf den Zeitungs-Webseiten sind neuerdings spontane Leseräusserungen möglich und erwünscht, womit die hohe Hürde des Leserbrief-Schreibens gesenkt worden ist. Beim „Blick“ dürfen die Leser im Land ihre News über die Hotline-Nummer 8989 durchgeben, ein  „Stammtisch“ gibt ihnen Heimat. Luzerner Zeitung und NZZ rufen Wahlforen aus.

Das Interesse der Masse ist an der Partizipation bliebt vorerst mässig. Doch Experten wie Blum raten den professionellen Journalisten und den Bürgerjournalisten, sich mit der Entwicklung auseinanderzusetzen – zum Vorteil aller. „Übernehmen Bürgerjournalisten Zielvorstellungen des Public Journalism, vermeiden sie, ihren Ruf mittelfristig zu beschädigen – und damit die Demokratie. Öffnen sich professionelle Journalisten dem Dialog mit den Bürgerjournalisten, gewinnen sie Bodenhaftung und Kontur. So können sie mittelbar einem weiteren Stellenabbau und Qualitätsverlust in der eigenen Branche vorbeugen“, lautet die Erkenntnis der Medienwissenschaftler. (pv.ch)

Der ganze Beitrag von Roger Blum und Marlis Prinzing auf NZZ Online…