«Verleger werden die guten Journalisten nicht halten können»

Vom Macher zum Denker: Nach seinem Abgang bei «watson» denkt Hansi Voigt intensiv über die Zukunft des Journalismus nach. Ein Gedankenprotokoll.

aufgezeichnet durch Sandro Bucher und Janosch Tröhler

Guter Journalismus wird nie gratis sein. Das ist eine Illusion. Bis jetzt finanzieren sich die Verlage durch Aufmerksamkeit – monetarisiert dank Werbung. Das funktioniert allerdings immer weniger, weil das Publikum den klassischen Werbefeldern immer weniger Beachtung schenkt. Leserinnen und Leser zahlen auch mit ihren Daten wie bei Facebook. Auch da können sich die Verleger überlegen, wie sie diese Informationen zu Geld machen können.

«Katzenvideos werden die Demokratie nicht bewahren»

Letztlich sind es bloss pauschale Fragen rund um das Finanzierungsmodell der Werbung, die ganz klar einen trashigen Journalismus fördern. «Watson» hat neben volkswirtschaftlichen Analysen auch Katzenvideos produziert. Weshalb? Weil ein Artikel, für den der Journalist einen Tag investiert hat, nicht ohne die Quersubventionierung durch die Aufmerksamkeit des Catcontents finanziert werden kann.

Will man dem hochstehenden Journalismus eine Plattform bieten, wird man um modernere Inhaltsfinanzierung nicht herumkommen. Ich glaube jedoch weder an die klassische Paywall, noch an reine Aufmerksamkeitsökonomie. Mit Katzenvideos lässt sich unsere Demokratie nicht bewahren. Ich glaube aber, dass mit Micropayment nach Mobile und Social Media der nächste grosse Gamechanger ansteht.

«Grosse Hoffnung in junge Generationen»

Wie erreicht man die Jungen? Es ist vielleicht schwieriger, sie mit komplexen Themen abzuholen. Bei «watson» haben wir es geschafft. Es kommt aber auf die Aufarbeitung solcher Themen an, ob sie angenommen werden. Die Beiträge von «watson» zur Durchsetzungsinitiative haben ein emotionales Potential ausgeübt und wurden in Debatten aufgenommen und weitergeführt. Die jungen Menschen haben am Schluss kompetent mitdiskutiert über Dinge wie Gewaltentrennung. Eigentlich unfassbar. Aber den Weg muss man mit seinen Inhalten gehen. Viele klassische Journalisten verstecken sich immer noch hinter dem Argument der Seriosität, meinen damit aber eigentlich wenig Denkarbeit und viel Langeweile. Komplexe Inhalte lassen sich durchaus einfach erzählen, doch dahinter steckt viel Fantasie und Arbeit.

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Hansi Voigt – vom Macher zum Denker. Bild: Janosch Tröhler

Die Diskussion wandert in die sozialen Medien ab, die nach eigenen Regeln funktionieren. Die meiste Zeit verbringen junge Menschen sowieso auf «WhatsApp» und Messenger-Ebene in ihrem privatesten Kreis. Facebook, wo die meisten «journalistischen« Inputs und «öffentlichen» Debatten stattfinden, bietet dem Journalismus aber keine Refinanzierung.

Ich habe grosse Hoffnung in die junge Generation: Sie bringen viel mehr Selbstverständlichkeit und Know-how im Umgang mit der Digitalisierung mit. «Digital natives» können besser mit der neuen Sichtbarkeit des dezentralen Meinungsbildungsprozess umgehen. Den Ü40ern geht diese Welt vollkommen ab und sie versuchen immer noch, etwa im Journalismus über zentralisierte Prozesse auf das Publikum einzuwirken.

«Alte Säcke, bitte draussen bleiben»

Natürlich, früher haben die 16-Jährigen die «Bravo» gelesen. Da gab es auch keine Doppelseite über die Entwicklung in Syrien. Sie wollten mit ihren Pickeln alleingelassen werden. Heute ist das Snapchat, wo alleine schon die unverständliche Nutzeroberfläche signalisiert: «Snapchat ist unsere sturmfreie Bude. Alte Säcke, bitte draussen bleiben.» Snapchat dreht sich eben nicht um Information, sondern um die Person. Statt das zu realisieren, biedern sich die Medien auf dilettantische Weise den Jungen an. Das ist zum Teil widerlich. Hier zeigt sich die Angst der Verlage, den Anschluss zu verlieren. Snapchat macht daraus ein Businessmodell: US-Medienmarken zahlen zweistellige Millionenbeiträge, damit sie überhaupt in dem Discover-Angebot sind. Das schaut sich zwar niemand an, aber sie haben das Gefühl, nahe bei den Jungen zu sein.

Wichtig ist, dass man den Jungen immer wieder ein Angebot macht, ihnen faktentreue Argumente in einer Debatte liefert – transparent und überprüfbar.

«Vergleiche zum Musikbusiness ziehen»

Doch was ist, wenn der Journalismus kein Geschäft mehr ist? Die Effizienz des Informationszeitalters und der Vernetzung führt dazu, dass das Angebot direkt zur Nachfrage gelangt, ohne Zwischenhändler. Dies eröffnet neue, brutal effiziente Möglichkeiten. Die Disruption, etwa durch Uber, ist wahnsinnig, aber letztlich nur fussend auf der erfolgreichen direkten Verbindung von Angebot und Nachfrage. Es braucht keinen Zwischenhändler, keine regionale Taxizentrale mehr. Die Margen sinken dank der digitalen Transparenz und dem fast absoluten Wettbewerb. Am Ende hat sich das klassische Geschäftsmodell aufgelöst. Diese dezentralen Funktionsweisen faszinieren mich sehr.

Doch es entsteht dadurch auch immer Neues. Man kann Vergleiche zum Musikbusiness ziehen. Kein Mensch zahlt noch für CDs, aber gibt es deshalb weniger Bands oder weniger Musik? Im Gegenteil: Die hohen Produktionskosten eines Albums führten dazu, dass man in Verträgen den Musikverlegern sein geistiges Eigentum abgetreten hat. Mit der Digitalisierung fand ein totaler Wandel statt. Der Künstler, ist die Marke und erreicht seine Fans direkt. Labels sind heute nur noch die Dienstleister für diese Marken, nicht mehr die Eigentümer.

Das Gleiche wird im qualitativ hochstehenden Journalismus in der Schweiz sehr bald auch passieren. Die hohen Produktionskosten des Prints fallen weg. Die Verleger werden die guten Journalisten nicht mehr halten können. Finanzierungsalternativen wie Micro-Payment werden direkt mit dem Inhalt des Verfassers mitgegeben. Wer hier etwa meine Meinung formuliert, oder eine Recherche betreibt, die ich wichtig finde, den unterstütze ich. Aber das werde ich nur bei einzelnen glaubwürdigen Stimmen tun, oder noch besser, wenn sie sich zu neuen, glaubwürdigen Marken zusammenschliessen. Denn die Bereitschaft, für Journalisten und zu bezahlen, ist ungleich grösser, wenn er nicht für einen Konzern arbeitet, der 300 Millionen Gewinn macht und gleichzeitig und wie jedes Jahr bei den Inhalten spart.

[su_spoiler title=“Erklärung“ open=“yes“]Das Gespräch wurde am 6. Oktober 2016 aufgezeichnet. Wenige Stunden später wurde bekannt, dass Constantin Seibt den «Tages-Anzeiger» verlässt und ein eigenes Medien-Startup gründet. Hansi Voigt betont zudem, dass er momentan nicht an dem als «Project R» bekannten Medien-Startup von Seibt und Christof Moser beteiligt ist.[/su_spoiler]