Vorsicht bei Namen

Redaktionen sollten nicht reflexartig publizieren, wenn Behörden den Namen und das Bild eines Tatverdächtigen freigeben. Der Presserat empfiehlt, eigenständige berufsethische Überlegungen anzustellen, bevor solche Details an die Öffentlichkeit weitergeben werden.

Die Veröffentlichung einer Fahndungsmeldung oder eines Zeugenaufrufs durch die Medien sei gerechtfertigt, wenn weitere schwere Verbrechen drohen, der Tatverdächtige auf der Flucht ist oder die Tat bestreitet, stellt der Presserat fest. Unverhältnismässig seit dagegen eine identifizierende Medienberichterstattung hingegen, wenn sich wie im Mordfall «Lucie» bereits vor der Veröffentlichung eines Zeugenaufrufs eine grosse Zahl möglicher Zeuginnen bei den Behörden gemeldet hat und der bereits gefasste mutmassliche Täter geständig ist. Zu diesen Schlüssen kam der Presserat. An der Jahrespressekonferenz des Aufsichtsorgan der gedruckten Presse veröffentlichte der Rat eine entsprechende Stellungnahme.

Foto und Name von Lucies Mörder
Anfang März 2009 löste das brutale Gewaltverbrechen am zuvor vermissten Au-pair-Mädchen «Lucie» eine Kaskade von Medienberichten aus. Am 12. März 2009 orientierte die Aargauer Kantonspolizei an einer vom Schweizer Fernsehen direkt übertragenen Pressekonferenz über den Stand der Ermittlungen und veröffentlichte dabei den vollen Namen und das Foto des geständigen, mutmasslichen Täters. Dies mit der Begründung, die Kantonspolizei suche als mögliche Zeuginnen weitere junge Frauen, die der Täter angesprochen hatte. Der überwiegende Teil der Schweizer Medien nannte daraufhin den Namen und veröffentlichte das Bild des mutmasslichen Mörders. Dies veranlasste den Presserat, der die Journalistinnen und Journalisten seit Jahren zu Zurückhaltung bei Namensnennung und identifizierender Berichterstattung aufruft, den Fall von sich aus aufzugreifen.

Verhältnismässigkeit prüfen
In seiner Stellungnahme hält der Presserat fest, dass die Freigabe von Namen und Bild eines Tatverdächtigen durch eine Behörde die Medienschaffenden nicht davon entbinde, eine eigenständige berufsethische Interessenabwägung vorzunehmen und die Verhältnismässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung kritisch zu hinterfragen. Dies sei ein unabdingbarer Bestandteil der journalistischen Unabhängigkeit. Dazu gehöre bei Zeugen- und Fahndungsaufrufen die Überlegung, ob weitere Verbrechen drohen, ob ein mutmasslicher Täter bei schweren Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, weil er auf der Flucht ist oder die Tat bestreitet.

Live is live
Eine anonymisierte Berichterstattung wird für den Presserat zudem auch dann nicht automatisch sinnlos, wenn eine Medienkonferenz live übertragen wird. Im Fall «Lucie» war der mutmassliche Mörder trotz der aussergewöhnlichen medialen Aufmerksamkeit auch nach der Fernsehdirektübertragung nicht derart bekannt, dass danach jegliche Zurückhaltung in der weiteren Berichterstattung zwecklos geworden wäre. (pv.ch)

Homepage des Presserates: www.presserat.ch

Mehr Klagen wegen Verletzung der Privatsphäre: Meldung zum Jahresbericht des Presserates der SDA bei persoenlich.comluciesmoerder.jpg

Lucies Mörder, unkenntlich gemacht, erst nachdem sein Bild Hundertfach publiziert worden war. (Foto: 20min)