Was sollte Medienjournalismus leisten?

Acht Wünsche formuliert formulierte Albrecht Müller an die Beobachter der eigenen Branche letzte Woche am Mediencampus Leipzig. Der Autor von Fachbüchern und Herausgeber der «Nachdenkseiten» setzt sich für Qualität in der politischen Meinungsbildung ein.

1 Der Medienjournalismus sollte erstens über den Zustand der Medien, über die Besitzverhältnisse, über Konzentrationsprozesse, über ihre Verflechtungen auch jenseits der Eigentumsverhältnisse, z.B. über die gängige Fraternisierung und die Frauenbünde aufklären.

2 Medienjournalisten sollten zweitens aufklären über die Verflechtungen der Medien mit der Politik. Weil wir uns ohne Kenntnis dieser Verflechtungen zwischen Medien und Politik und ohne bessere Kenntnis der wahren Konzentrationsprozesse und Verflechtungen Illusionen über den Zustand unserer Medien machen. Hierzulande gibt es keinen Berlusconi. Aber die Berlusconisierung ist wie auch in Frankreich beachtlich vorangeschritten.

3 Medienjournalismus sollte drittens über die Tendenz von einzelnen Medien und des grossen Stroms der Medien besser aufklären. Für Medienjournalisten müsste die Hegemonie der Wirtschaft – und die Gleichsetzung von Arbeitgeberinteressen mit dem Gesamtinteresse – in den Medien ein Dauerthema sein.

4 Was Medienjournalismus viertens wirksam, das heisst wiederholend, prominent und penetrant leisten sollte: die Aufklärung über den Einfluss grosser Interessen auf die Medien mithilfe von Public Relations. PR ist vermutlich für die meisten Menschen kein fest umrissener Begriff. Sie kennen den Anteil von Public Relations gesteuerten Beiträgen in ihren Medien nicht. Sie wissen nicht einmal, was „ots“ – Originaltextservice – bedeutet. Woher denn auch. Sie vermögen vermutlich in der Regel nicht zu unterscheiden zwischen redaktionellen und PR-Beiträgen. Hier ist sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

5 Medienjournalismus müsste fünftens – und damit bin ich bei meinem wichtigsten Punkt – über die Kampagnen der Meinungsbeeinflussung aufklären, und auch darüber wie Medien benutzt werden, um gefällige politische Entscheidungen herbeizuführen. Medienjournalisten fassen den Kampagnenjournalismus mit spitzen Fingern an. Den Hauptmedien schmeckt die Analyse solcher Kampagnen nicht. Sie halten die Analytiker der Meinungsmache für Verschwörungstheoretiker.

6 Von Medienjournalisten würden wir sechstens erwarten, dass sie uns helfen, die Methoden des Kampagnenjournalismus und der heute üblichen Propaganda zu Gunsten von Interessen zu durchschauen: Medienjournalisten müssten ihre Kollegen/innen in den Medien sensibilisieren für die Gefahr beim Umgang mit Umfragen und Ratings, die allzu oft die Erfindung von PR-Beratern sind, und beim Umgang mit eigens für die Propaganda gegründeten Instituten.

7 Von Medienjournalisten sollte man siebtens erwarten können, dass sie den Medienschaffenden nicht durchgehen lassen, wenn diese weiterhin Wissenschaftler und Publizisten als sachverständig und unabhängig herausstellen und als Interviewpartner engagieren, wenn diese Wissenschaftler sich als Interessenvertreter und nicht als Vertreter einer unabhängigen Wissenschaft erwiesen haben – und zu diesem Zweck schwere Fehler gemacht haben. Von Medienjournalisten würden wir erwarten, dass sie ihre Kollegen in den Zeitungen und Redaktionen bei den Sendern bedrängen, wenn diese immer wieder Organisationen und Institute zitieren, die eigens für die Public Relations-Arbeit gegründet worden sind.

8 Von Medienjournalisten erwarten wir viel. Wir erwarten achtens die hartnäckige Thematisierung des Interessengeflechts, in dem wichtige Medienmacher stecken.

Das waren acht Wünsche an den Medienjournalismus. Wenn sich die Wünsche nicht erfüllen, dann liegt das am allerwenigsten an den Medienjournalisten, zumal ihre Arbeit voraussichtlich nicht leichter wird. Denn wenn die Medieneigentümer weiterhin und immer mehr vor allem Geld sehen wollen, dann wird ihnen die Krittelei der Medienjournalisten im Wege stehen.

Albrecht Müllers «NachDenkSeiten»