„Wir betrachten die Kündigung der Mitglieder der Personalkommission als missbräuchlich“

Die Verhandlungen seien sehr hart geführt worden, aber Im Branchenvergleich stelle der Tagi-Sozialplan eine gute Lösung dar, sagt Salva Leutenegger, Zentralsekretärin Impressum. Die Kündigung der Mitglieder der Personalkommission (Peko) könnte allerdings ein juristisches Nachspiel haben.

Salva Leutenegger, der Tagi-Sozialplan steht, wie war der Verhandlungsbeginn?

Salva Leutenegger: Der Einstieg in die Verhandlungen war schwierig. Wir mussten uns zuerst eine Stunde lang Vorwürfe anhören. Seitens Tamedia hatte man die Verurteilungen der Massenentlassungen, die im Vorfeld der Verhandlungen von der Tagi-Redaktion, der Personalkommission und den Verbänden erfolgte, als kränkend empfunden. Ausdrücke wie „Mai-Massaker“ und „menschenverachtend“ waren jedoch Ausdruck eines tiefsitzenden Schocks über die vielen Entlassungen. Nachdem alle Verhandlungspartner ihre Reviere markiert hatten – was in einem solchen Fall relativ normal ist – kam man nach etwa einer Stunde zur Sache.

Sozialplanverhandlungen mit Tamedia, wie muss man sich das vorstellen?

Sachlich und ohne verbale Entgleisungen, allerdings sehr hart. Die Arbeitgeber argumentierten mit dem finanziellen Deckel des Sozialplanes, den man nicht anheben könne. Zunächst war nur von 3 Millionen Franken die Rede. Auf Druck von Redaktion, der Personalkommission und den Verbänden wurde der Betrag dann aber zum Glück erheblich angehoben. Das war ein beispielhaftes Zusamenspiel von Redaktion, Verbänden und Personalkommission. Beeindruckt hat mich auch die Solidarität der Nichtgekündigten mit den Gekündigten. Fairerweise muss man aber sagen, dass Tamedia von Anfang an zu einem Sozialplan bereit waren. Nur eben zu viel zu tiefen Konditionen.

Wie ist dieser Sozialplan zu bewerten?

Im Branchenvergleich handelt es sich um einen guten Sozialplan. Aber man möchte ja für die Leute, die man vertritt, das absolute Maximum erreichen. Das haben wir versucht, aber dieser Anspruch ist natürlich nicht realistisch. Da wir in der Medienbranche in der Deutschschweiz keinen Gesamtarbeitsvertrag haben, ist es auch keine Pflicht, einen Sozialplan zu erstellen. Es besteht lediglich ein ethisch-moralisches Gebot. Der Druck von unten, in Form von Aktionen und Kundgebungen, war deshalb enorm wichtig.

In der momentanen Krise, welche die ganze Branche schüttelt, scheinen ethisch-moralische Ansprüche seitens der Arbeitnehmer schwer durchzusetzbar.

Die Ausgangslage bei Tamedia war insofern speziell, als dass ein gesundes Unternehmen, das unter anderem einen Prestigebau für 40 Millionen Franken plant und die Edipresse für 226 Millionen Franken erworben hat, 88 Mitarbeitende auf die Strasse gestellt hat. Und dies ohne wirtschaftliche Not, nur um sich für die Zukunft fit zu machen. Gewisse Korrekturen hätte man ja durchaus verstanden, schliesslich verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für Printtitel zusehends. Aber diese Massenentlassung wurde als Amputation der Redaktion empfunden. Wenn die Zeitung der Zukunft mehr Recherche, Analyse und Hintergrund bieten soll, müsste man meines Erachtens jetzt in den Tages-Anzeiger investieren und ihn nicht noch mehr schwächen. Die Chefredaktion verspricht der Leserschaft, der Tagi werde noch besser werden. Doch wie soll das funktionieren, wenn ein Viertel der Redaktion entlassen wird?

Die wichtisten Punkte des Sozialplans?

Wer nach Ablauf der Kündigungsfrist noch keine Stelle gefunden hat, kann diese drei Mal um einen Monat verlängern. Oder aber er hat die Möglichkeit, Ausgleichszahlungen vom Arbeitgeber zu beziehen. Dies bedingt allerdings, dass er als arbeitslos gemeldet ist. Dann gleicht der Arbeitgeber, also Tamedia, ein Jahr lang 30 Prozent (respektive 18 Monate lang 20 Prozent bei über 55-Jährigen oder Personen mit elterlichen Pflichten) des Lohnes aus. Auch eine Abgangsentschädigung nach Alter und Dienstalter gestaffelt haben wir erreichen können. Für Entlassene, die in eine finanzielle Notlage geraten, wird ein Härtefallfonds eingerichtet.

Die Präsidenten und ein Vizepräsident der Personalkommissionen von Tages-Anzeiger und Bund sind entlassen worden. Ist das überhaupt zulässig?

Wir betrachten die Kündigungen nach wie vor als missbräuchlich. Die Tamedia stellt sich auf den Standpunkt, sie seien aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt. Das wird vermutlich aber noch ein juristisches Nachspiel haben. Die Betroffenen überlegen sich, gerichtlich gegen Tamedia vorzugehen. Mitglieder der Personalkommission sind im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit geschützt Mit der Kündigung von Peko-Mitgliedern wurde versucht, der Personalkommission den Boden unter den Füssen wegzuziehen. Tamedia müsste vor Gericht beweisen, dass den dreien aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt wurde. Aber unabhängig davon, ist es ein schlechtes Signal, die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmenden so mit Füssen zu treten. Dagegen müssen wir uns wehren.

Es wurden enorm viele langjährige Mitarbeiter auf die Strasse gestellt.

Fast alle Mitarbeitende, die älter als 58 Jahre alt sind, wurden entlassen. Da hat man einen entscheidenden Fehler gemacht. Die Unternehmensleitung delegierte den Stellenabbau an die Chefredaktion, und diese ohne die Vorgabe von sozialen Kriterien, jedoch mit einer prozentualen Abbauvorgabe an die Ressortleitungen. Letztere sind nicht überall nach rein objektiven Kriterien vorgegangen. Bei den Entlassungen scheinen auch persönliche Ressentiments eine Rolle gespielt zu haben, indem auch ein paar Unbequeme auf die Strasse gestellt wurden. Man muss aber erwähnen, dass die Ressortleiter im guten Glauben waren, es gebe gute Lösungen für Frühpensionierungen. Das hatte man ihnen von oben zugesichert. Nur stimmte das nicht.

Was war mit dem Frühpensionierungsangebot?

Zu Beginn unserer Verhandlungen war das Frühpensionierungsangebot lausig. Auch die Ressortleiter waren irritiert und reagierten, als sie dies realisierten. Daraufhin ging die Geschäftsleitung in den Verhandlungen nochmals über die Bücher. Das war ein zähes Ringen, aber wir haben jetzt wie gesagt eine – im Branchenvergleich – gute Lösung. (pv.ch) salva_web.jpg

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