«Wir Gewerkschaften werden deshalb nicht wie die Maus vor der Schlange erstarren!»

Die Gewerkschaft comedia und das Schweizer Verlagshaus Tamedia haben sich in einem Rechtstreit mit einem Vergleich geeinigt. Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht überweist comedia dem Verlagshaus einen Betrag von 35’000 Franken zur Abgeltung der durch einen Streik entstandenen Mehrkosten. Ist dies das Ende der Gewerkschaften? comedia-Kopräsident Roland Kreuzer verneint.

presseverein.ch:

Herr Kreuzer, ihre Gewerkschaft hat dem Verlag Tamedia wegen des Facts-Streiks im Jahre 2003 35’000 Franken überwiesen. Ursprünglich hatte Tamedia einen Schadenersatz von 130’000 Franken eingeklagt. Schmerzt Sie dieser Betrag, oder sind Sie froh, dass Sie nicht noch mehr zahlen mussten?

Roland Kreuzer:

Wenn man als Gewerkschaft der Tamedia mit ihren Millionengewinnen etwas zahlen muss, tut das sicher weh. In diesem Fall haben wir in den Vergleich eingewilligt, weil wir es eine Ressourcenverschwendung finden, uns noch vier weitere Jahre mit diesem Prozess herumschlagen zu müssen. Und wir meinen, dass Probleme zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen wo immer möglich im direkten Gespräch und in der direkten Auseinandersetzung gelöst werden sollen und nicht vor Gericht.
Wie der Prozess abschliessend vor Bundesgericht ausgegangen wäre, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass die Gerichte sicher nicht das „Heimterrain“ für uns Gewerkschaften sind: Die Mehrheit der Richter aller Stufen ist bürgerlich, und jeder von Unternehmerseite angestrebte Prozess wegen gewerkschaftlicher Kampfmassnahmen ist ein politischer Prozess mit grossem politischem Ermessensspielraum der Richter.

Wie finanzieren Sie diese Summe? Konnten sie den Betrag von 35’000 Franken aus der Portokasse bezahlen oder müssen die Comedia-Mitglieder nun mit höheren Mitglieder-Beiträgen rechnen?

comedia hat einen Kampffonds, aus dem Kampfmassnahmen, Streikgelder und auch solche Prozesskosten finanziert werden. Dieser Fonds ist unsere Vorsorge, um im härteren sozialen Klima bestehen zu können, auch wenn wir vermehrt zu Kampfmassnahmen gezwungen werden. Eine Erhöhung der Beiträge wird es deswegen sicher nicht geben.

Ist diese Zahlung nicht der Anfang vom Ende für eine Gewerkschaft? Streik war bisher ihr probatestes Kampfmittel.

Weder comedia noch andere Gewerkschaften werden sich dadurch einschüchtern lassen, dass die Unternehmer und ihre Verbände immer häufiger bei Streiks nach Schadenersatz rufen und im Nachgang Prozesse anzetteln, wenn Arbeitnehmende und ihre Gewerkschaften mit Kampfmassnahmen reagieren auf die harte Gangart der Unternehmerseite – wie z.B. Verweigerung von Verhandlungen, Aushöhlung von Gesamtarbeitsverträgen usw. Seit das Streikrecht in der Bundesverfassung verankert ist, stellen wir fest, dass die Unternehmerseite dieses demokratische Grundrecht mit Strafprozessen und Schadenersatzforderungen einschränken möchte. Die Zunahme von Streiks in den letzten Jahren zeigt, dass wir Gewerkschaften deshalb nicht wie die Maus vor der Schlange erstarren.

Wird Comedia in Zukunft auf Streiks verzichten? Wie werden Sie sich zukünftig zur Wehr setzen?

Streik ist für uns nie ein Selbstzweck, das weiss jede und jeder, die oder der einmal einen Streik mitgemacht hat. Aber der Streik war, ist und bleibt unser stärkstes Mittel zum Durchsetzen der Anliegen der Arbeitnehmenden. Werden wir am Verhandlungstisch nicht ernst genommen und sind unsere Mitglieder bereit, wird comedia wenn nötig auf eine harte Konfrontationslinie der Unternehmerseite adäquat antworten, um Arbeitsplätze, die Rechte der Arbeitnehmenden und der Gewerkschaft zu verteidigen und gerechtere und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
(pv.ch)

                
Auch nach dieser Niederlage bleibt der Streik für Roland Kreuzer das stärkste Mittel zum Durchsetzen der Anliegen der Arbeitnehmenden.
            (Links im Bild comedia-Ko-Präsidentin Danièle Lenzin)
                                     (Bild: comedia.ch)