2011 war das Jahr, in dem Schweizer Journalisten Twitter entdeckten. Warum bloss hat das so lange gedauert?
2007 meldete ich mich bei Twitter an. 2008 begann ich zu twittern. 2009 dachte ich, jetzt kommen dann die Schweizer Journis gleich auf Twitter. 2010 dachte ich, naja, vielleicht kommen sie nächstes Jahr.
Und 2011? Waren sie plötzlich da. Natürlich nicht alle, aber doch schon einige: Die Chefredaktionen von „Der Sonntag“ (Patrik Müller, Sandro Brotz), „Newsnetz“ (Peter Wälty, Michael Marti), „Der Bund“ (Artur Vogel), „Aargauer Zeitung“ (Christian Dorer), „Das Magazin“ (Finn Canonica). Und viele Redaktoren und Reporter vom „Tages-Anzeiger“, der „NZZ am Sonntag“, von 20min.ch, Newsnetz, von Radio 24, von Radio DRS, vom Schweizer Fernsehen, von Tele Züri und natürlich besonders viele von der neugegründeten „Tageswoche“. Selbst Ringier ist nicht eine ganz twitterfreie Zone – unter den Markennamen wird eifrig gepostet, einzelne Aushängeschilder sind unter ihrem Namen aktiv (Peter Hossli oder Twitter-Altmeister Thomas Benkö). Nicht zu vergessen die vielen Journalistenschüler – von denen regelmässig die besten Links kommen.
Ein wichtiger Anstoss zum Boom 2011 waren die bei den AZ Medien und bei der NZZ durchgeführten Twitterschulungen (ja, es soll auch Menschen geben, die sowas von alleine begreifen). Auf jeden Fall kam dadurch das Thema Twitter ins Gespräch, so merkten die Leute, was es mit diesem Twitter auf sich hat. Denn, das kann jeder, der twittert, bestätigen: Ohne dass man es selbst ausprobiert hat, kann man über die Vorzüge und Nachteile dieses Kommunikationsmittels nicht diskutieren. Es gab schon viele Leute, die jahrelang erzählt haben, dass Golf spielen (wahlweise auch Stricken, Wandern oder Snowboarden) ja wohl das Langweiligste (oder das Einschläferndste, Spiessigste oder Dümmste) überhaupt sei und man sich nicht vorstellen könne, das jemals zu machen – nur um es wenige Jahre später selbst zu tun.
Das Resultat ist aber nun endlich da und greifbar: Es wird häuserübergreifend diskutiert unter Journalisten und Bloggern – die Tweets rund um die Besitzverhältnisse der „Basler Zeitung“ sind ein gutes Beispiel. Es wird darüber geredet, wie Journalismus sein kann oder soll, Branchenklatsch und die neusten Nachrichten werden ausgetauscht, neue Seiten an Journalisten, die einem bisher nur vage bekannt waren, werden entdeckt. Einbezogen in die Diskussionen sind auch Politiker, Musiker, Pfarrer, Journalistikprofessoren und viele andere. Ja, es dreht sich (noch?) viel um die eigene Branche, aber das ist per se nicht schlecht, auch in der Kaffeeküche wird über die eigene Branche geredet. Ideal ist es, wenn Popjournalisten von den Tweets der Popmusiker, Wirtschaftsjournalisten von den Tweets der CEOs und Manager, Wissenschaftsjournalisten von den Tweets der Wissenschaftler profitieren. Und noch etwas: Viele haben längst bemerkt, dass es für (die durchaus manchmal überschätzten) „Breaking News“ keine bessere Anlaufstelle gibt als Twitter.
Klar sagen muss man, dass die 140-Zeichen-Beschränkung von Twitter natürlich nicht für tiefschürfende Diskussionen gemacht ist – Kommentare auf Websites sind da viel besser geeignet. Diskussionen geführt werden auch bei Facebook (und das schon seit Jahren). Aber Facebook ist nur teiloffen, viele teilen ihre Inhalte nur mit ihren „Freunden“ – verlinkt werden kann das nur in wenigen Fällen. Eine eingeschränkte Leserschaft ist auch bei Twitter möglich, doch das nutzen nur die Wenigsten. Die Frage bleibt: Warum sollte man als Journalist nicht zu dem, was man erzählt oder schreibt, stehen? Sind diese Geheimzirkel wirklich notwendig? Ich meine: als Journalist grenzt man sich nicht ab, weil man einer Kaste oder einem exklusiven Kreis zugehörig ist. Sondern aufgrund der Arbeit, die man liefert.
Es bleibt zu hoffen, dass sich 2012 noch mehr Schweizer Journalisten und vor allem auch Journalistinnen bei Twitter anmelden – und dort mehr tun, als nur zu schwätzen. Denn auf Twitter, jawohl, kann man durchaus auch ernsthaft kommunizieren. Wie ein Hammer ist Twitter nur ein Werkzeug – es muss jeder selbst herausfinden, wie er ihn schwingt.