Zürcher Prozesse mit glänzendem Start

Dieses Wochenende werden am Theater am Neumarkt die „Zürcher Prozesse“ gezeigt: eine fiktive, aber ernsthafte Verhandlung der vom Wochenmagazin „Weltwoche“ begangenen Vergehen. Der Auftakt am Freitagabend verspricht eine intellektuelle Auseinandersetzung auf hohem Niveau.

Der Gerichtssaal im Theater am Neumarkt
Bild: Das Pläydoyer von Hamed Abdel-Samad am Freitagabend, Screenshot srf.ch

Der erste Abend der „Zürcher Prozesse“ gegen die Weltwoche ist zu Ende, ein paar erste Eindrücke:

1. Das Theater mischt sich (endlich mal wieder?) ein in die Debatte.
2. Eine vieldiskutierte Frage wird endlich mal grundlegend diskutiert.
3. Das Stück ist besetzt mit vielen relevanten Figuren. Dass Roger Köppel nicht dabei ist, spielt keine Rolle und ist womöglich sogar einfach richtig.
4. Durch die strenge Form des Gerichtsverfahrens ergibt sich eine gesittete Debatte. Folglich können, anders als bei Podiumsdiskussionen, die oft in Selbstdarstellung ausarten, Argument und Gegenargument sauber aufeinandertreffen.
5. Der Zwang, den Gegenargumenten ohne eigene Reaktionen zuzuhören, gibt Raum für eigene Veränderungen. Auf beiden Seiten.
6. So schlecht kann es nicht stehen um die Diskussionskultur in der Schweiz, wenn so viele ihr Wochenende opfern für diese Auseinandersetzung.

Das inhaltliche Niveau bisher ist hoch, die beiden Eröffnungsplädoyers von Anklage (Marc Spescha) und Verteidigung (Valentin Landmann) waren gut vorbereitet. Zurecht Applaus erhielten die darauf folgenden klugen Geleitworte von Michel Friedman und Hamed Abdel-Samad.

Friedmann sprach im Sinne der Anklage und hielt fest, dass wer von DENEN spricht, Rassismus begeht: „DIE ist immer Aufhetzung“, so seine kurze, aber durchaus einleuchtende Formel gegenüber jeglicher Pauschalisierung. Dass er einmal versehentlich „Volkswoche“ statt „Weltwoche“ sagte, sorgte kurz für Erheiterung.

Abdel-Samad würde sich „Sorgen machen, wenn nur die Weltwoche auf dem Markt wäre“ – doch das sei ja nicht der Fall. Er freute sich auf dieses „Demokratieexperiment“ aus der Schweiz und hielt fest, dass jene, die die Weltwoche anklagen, auch jene anklagen, die die Weltwoche lesen. Auf der Anklagebank sei im Prinzip auch jene Mehrheit der Schweizer, die Volksinitiativen wie die Ausschaffungsinitiative befürworte.

Das Projekt von Milo Rau ist im besten Sinne Anwalt der Diskussionskultur. Statt heimlich schlecht über sich zu reden, debattieren die gegnerischen Lager auf öffentlicher Bühne, fair und diszipliniert. Dass die Bühne nur pseudooffiziell ist, hat ja auch den Hintergrund, dass offenbar niemand tatsächlich ein Gericht anrufen möchte. Auch ein Res Strehle macht sich gerne länger Gedanken darüber, ob er nun klagen möchte oder doch lieber nicht: „Wir werden alle rechtlichen Schritte prüfen, um in Zukunft eine korrekte Berichterstattung anzumahnen“, hiess es am 8. Februar.

Ich prophezeie als Ausgang der „Zürcher Prozesse“ einen Freispruch mit Auflagen für Roger Köppel. Und tatsächlich: Eine Weltwoche ohne Pauschalisierungen könnte richtig gut sein und schon fast Zuneigung evozieren.

Livestream (3. Mai 2013 ab 19 Uhr, 4. Mai 2013 ab 12 Uhr und ab 16 Uhr, 5. Mai 2013 ab 11 Uhr, ab 15 Uhr und ab 19 Uhr)
Die-zuercher-prozesse.ch
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