Die Stimme aus dem Unterdorf

Das vierteljährlich erscheinende Printmagazin „Lower Village Voice“ liefert inhaltlich schönes Feuilleton und knüpft visuell an die 1970er-Jahre an. Herausgegeben wird es vom Theater Neumarkt.

Screenshot Lower Village Voice

Schnäuze kommen zurück, Bärte kommen zurück, grosse Brillen kommen zurück, Rundsessel aus weissem Plastik mit grünen, gelben, orangenen Polstern kommen zurück. Die 1970er- und 1980er-Jahre schreiten auf leisen Sohlen ins Jahr 2012 hinein, und auch im Printbereich gibt es Retrosichtungen.

Die neue „Lower Village Voice“, sowas wie ein Magazin im Zeitungsformat, kommt ohne Farben und anderen Firlefanz aus. Klare Linien und sauber abgegrenzte Spalten halten eine strenge Ordnung im Heft, die nur ab und zu durch Kreise aufgelockert wird. Sehr klassisch gehalten sind auch die durch Platzmangel erforderlichen Abkürzungen in den womöglich fiktiven Kleinanzeigen.

Gründungsherausgeber des Magazins und Chefredaktoren der ersten Ausgabe sind Barbara Weber, Daniel Lerch und Julia Reichert. Weiter dabei sind neben Zugpferden wie Sibylle Berg (schreibt über Essen) und Constantin Seibt (schreibt über Verbrechen) auch bekannte Journalisten (Pascal Blum, David Hesse, Dominik Gross, Daniel Binswanger) und Schriftsteller (Peter Weber, Michel Mettler). Gespräche werden geführt mit Guy Krneta, Yannis Houvardas und Daniel Cohn-Bendit (wird wird von Mitgliedern von Occupy Zürich befragt). Das wirklich sehr ausführlich geratene Impressum gibt es hier.

Kosten tut das Blatt einen Fünfliber. Inhaltlich liefert es den in der Schweiz so schmerzlich vermissten Feuilleton-Stoff. Also Texte, die niemand braucht, aber um so lieber gelesen werden. Nein, niemand braucht einen Text, der mit so einem Satz beginnt:

Die letzte Schweizerin, Rös Zgraggen, lebt und arbeitet als Ameise in einem Ameisenhaufen im Hinteren Haslital.

Aber lesen möchte man ihn trotzdem. Ohne das Schöne kann man leben, aber will man das auch? Nachdenken über „die südliche Psyche“ ist nämlich auch wichtig. Und warum Schweizer solch lausige Verbrecher sind, wollte man doch schon immer mal wissen, oder?

Ob die Antwort auf die Revolution durch das Internet tatsächlich die Rückbesinnung auf vordigitale Zeiten ist, sei mal dahingestellt. Ich würde solche Texte auf jeden Fall auch gerne online lesen.

„Lower Village Voice“, Ausgabe 1 (theaterneumarkt.ch, PDF-Datei, 1,1 MB)
Lowervillagevoice.ch