Intimsphäre

Warum Beziehungsdelikte sich so schwer objektiv be- und verurteilen lassen. 
 

Nachdem die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat gegen den erstinstanzlichen Freispruch durch das Landgericht in Mannheim, geht die Wahrheitssuche und der Medienrummel im Fall Kachelmann in die nächste Runde.

Wettermoderator Jörg Kachelmann war am letzten Dienstag vom Vorwurf der Vergewaltigung, den eine seiner Ex-Freundinnen erhoben hatte, freigesprochen. Die Richter entschieden «in dubio pro reo», die zweifelsfreie Schuld liess sich nicht bewiesen. Das Urteil, der gesamte Prozess, die Ermittlungen gegen Kachelmann sowie die Medienbegleitung zum Fall werfen Fragen auf.

«Es ist nicht das erste Mal, dass einem vor Gericht verhandelten Vergewaltigungsvorwurf keine Verurteilung des Angeklagten folgt», schreibt «Mädchenmannschaft» in einer Analyse. Es sei auch nicht das erste Mal, dass sich Opfer in ihren Aussagen in Widersprüche verstricken, und am Ende Aussage gegen Aussage steht. Und es sei bei diesem Fall auch nicht das erste Mal, «dass ein solcher Prozess von einem Diskurs begleitet wird, der Rechtsstaatlichkeit und Unschuldsvermutung betont, die Glaubwürdigkeit der mutmasslichen Opfer in Frage stellt und das Sexleben von mutmasslichem Täter und Opfer ausschlachtet».

Dabei sprechen die Fakten für sich: «Nur ein Bruchteil von sexualisierten Übergriffen wird überhaupt zur Anzeige gebracht, noch weniger Fälle landen vor Gericht, noch weniger enden mit einer Verurteilung. Die Strukturen für Opfer sexualisierter Gewalt sind mässig bis schlecht, Polizistinnen unzureichend ausgebildet, Gutachterinnen darauf aus, die Integrität des mutmasslichen Opfers solange zu prüfen, bis Widersprüche aufgedeckt werden können. Die Betroffenen sexualisierter Gewalt sind in der Bringschuld. In der Bringschuld zu sein in einem System, in dem Sexismus und Frauenfeindlichkeit offen ausgelebt werden können und institutionell verankert sind, bedeutet, in einer nicht gleichberechtigten Position zu sein gegenüber denen, die überzeugt werden müssen von der Schuld des vermeintlichen Täters. Wenn wir über sexualisierte Gewalt reden und verhandeln, müssen wir auch die Verhältnisse, Normen und Strukturen bedenken, in denen sie passiert.»

Der Mädchenmannschaft geht es dabei es keineswegs darum, die Rechtsstaatlichkeit generell in Frage zu stellen oder die Unschuldsvermutung abzuschaffen. Sie plädiert vielmehr dafür, sich bewusst zu machen, dass beide Prinzipien in einer liberalen Gesellschaft, die formale Gleichheit für alle Individuen als Maxime setzt, soziale Ungleichheit und Machtverhältnisse nur unzureichend berücksichtigen können. Das heisst: Gesetze werden in diesem Kontext gemacht und Recht wird in diesem Kontext gesprochen. Für wen gilt die Unschuldsvermutung? Wer kann sie vollumfänglich in Anspruch nehmen? Wem helfen rechtsstaatliche Prinzipien zu einem freieren Leben, wenn es zur Disposition steht?

Wer Recht das Potenzial gesellschaftlicher Signalwirkungen abspricht und sich auf Rechtssprechung als letztgültigen Wahrheitsfinder verlässt, verhilft Machtverhältnissen zum Status Quo und imaginiert alle Individuen als Gleiche. Letztendlich kommt damit nicht nur bei den Rechtsgläubigen zum Ausdruck, dass die nachhaltige Bekämpfung von sexualisierter Gewalt und sexistischen Strukturen nicht erwünscht ist.

Ob in Sachen Vergewaltigung in Zukunft Recht und Gerechtigkeit vorherrscht, geht nicht nur Gerichte, Prozessbeteiligte und Journalistinnen etwas an. Sexualisierte Gewalt ist keine Frage objektiver Beurteilung und sollte nicht allein auf dem Feld sexpositiver Debatten erfolgen. Eine öffentlich geführte und auf Sensibilisierung ausgelegte Auseinandersetzung mit der sogenannten «rape culture» wäre ein Anfang.

Mit Dank an Nadine Lantzsch, Medienelite.de 

Buchvernissage: “Kachelmann und die Medien”, Mittwoch, 8. Juni 2011, 20h, Kaufleuten, Zürich. Details und Tickets…