Journalismus in der Glaubwürdigkeitskrise

Unter dem Titel „Alles Lügen?“ schreibt „Die Zeit“ in der aktuellen Ausgabe vier Seiten über die „Glaubwürdigkeitskrise“ des Journalismus.

 

Zeit-vom-25.-Juni-2015„Journalisten sind keine unumstrittenen Autoritäten mehr“, heisst es im Essay von Götz Hamann ab Seite 8. Es sei wahr, „dass Journalisten in den vergangenen Jahren in entscheidenden Momenten versagt haben“. Als Beispiel nennt er den Irak-Krieg, bei dem die Medien im „im Grunde“ nur US-Regierungspropaganda wiedergegeben hätten. Oder die Finanzkrise 2008, die sie nicht vorhergesehen haben:

„Und weil das in eine Zeit fiel, in der in deutschen Medien die neoliberalen Stimmen dominierten, blieb der Eindruck, Wirtschaftsjournalisten hätte nicht nur nicht genau hingesehen. Sie seien vielmehr Propagandisten dieses ungezügelten Kapitalismus.“

Hamann geht im Text auch ein auf die Kritik an der Vorwürfen gegenüber den „Zeit“-Journalisten Josef Joffe und Jochen Bittner:

„Die beiden wurde, ebenso wie Redakteuren anderer Blätter, in der ZDF-Sendung Die Anstalt vorgeworfen, sie seien derart eng mit transatlantischen Organisationen verbandelt, dass sie journalistisch nicht mehr unabhängig arbeiten könnten. Seither tobt im Netz ein Shitstorm gegen die beiden, obwohl Bittner weder Mitglied noch Vorstand oder Beirat einer der gezeigten Institutionen ist und Joffe auch nur bei zweien, nicht, wie behauptet, bei acht Organisationen.“

Am Ende seines Texts fordert er die Leser, Blogger, Twitterer und Facebooker dazu auf, selbst Verantwortung zu übernehmen und „ihr Gesicht zu zeigen“:

Für die Akteure der fünften Gewalt heisst es: Stellt euch eurer Verantwortung. Ihr habt sie gewollt. Nun geht damit um. Ein Weg könnte es sein, neu über Anonymität im öffentlichen Diskurs nachzudenken.

 

Auf Seite 10 berichtet ARD-Korrespondentin Golineh Atai, was ihr aufgrund ihrer Ukraine-Berichterstattung alles widerfahren ist. Und auf Seite 11 appelliert Bernhard Pörksen für Regeln für Debatten, die im Netz geführt werden, weil diese sonst durch Pöbeleien erstickt würden.

 

Alles in allem sind die vier Seiten genau das, was man von der „Zeit“ zu diesem Thema erwarten kann. Natürlich sind viele Angriffe von Bürgern auf Journalisten nicht in angemessener Form vorgetragen. Die „Zeit“-Journalisten geben sich Mühe, die Kritik dennoch ernstzunehmen, driften dann aber sofort wieder ab in das Selbstmitleid. Das grösste Problem, das die „Zeit“ mit der Debatte zu haben scheint, ist das eigene Befinden aufgrund der Angriffe.

Ganz zum Schluss, unten rechts auf der letzten Seite, kommt dann auch noch ein Gesprächsversuch mit dem Publikum:

Diskutieren Sie mit
Von Freitagnachmittag an berichten vier Kollegen von ZEIT und ZEIT Online unter www.zeit.de/medien-vertrauenskrise, wie sie mit Schmähungen umgehen.

Ähm ja. Wenn die Leser über etwas diskutieren möchten, dann sicher, wie schlimm es den „Zeit“-Journalisten mit ihnen ergangen ist.

Alle Fotos: Ronnie Grob

Nachtrag, 25. Juni 2015, 12:00 Uhr: Thom Nagy weist darauf hin, dass die „Tageswoche“ schon mal recht ähnlich getitelt hat. Der Unterschied ist ein Fragezeichen statt zwei Anführungszeichen: