Reisejournalisten im Dilemma

Hochglanz-Reisereportagen über Urlaubsziele in 3.-Welt-Diktaturen? Und:
Wie über die Olympischen Spiele 2008 im «totalitären» China berichten. Impressum hat es an einer Podiumsdiskussion erörtert.

Nicht nur die Kollegen vom Reise-Bund, auch andere Journalisten, die ab
und zu über ferne Länder berichten – und 2008 sogar die
Sportjournalisten  – stehen vor der Frage, wie man totalitäre Staaten
darstellt. Dürfen wir einen begeisterten Artikel über die Tauchgründe
der Malediven schreiben, wenn dort Diktatur herrscht und einheimische
Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen? Dazu diskutierten
am Journalistenkongress in Freiburg Vertreter von Amnesty International
und Reporters sans Frontières, mit Reise- und Auslandsjournalisten.
Moderiert wurde die Diskussion auf Französisch von Roland Jeanneret von
SR DRS.

   Was darf und soll Tourismusberichterstattung? Die Meinungen waren
alles andere als holzschnittartig. AI etwa sprach sich dagegen aus,
über gewisse Reiseländer nicht zu berichten, nur weil sie diktatorisch
regiert sind –  der Boykott würde die Falschen treffen und eine
Gelegenheit wäre verpasst, auf die Zustände aufmerksam zu machen. Die
Vereinigung der Reisejournalisten dagegen erklärte, Länder, die sich
aggressiv verhalten wie Israel oder die USA, öfter zu schneiden –
einfach weil man als Journalist schon gar keine Lust habe, hinzufahren
und sich mit unsympathischen Destinationen auseinanderzusetzen. Die
Auslandjournalisten plädierten dafür, von Fall zu Fall zu entscheiden.
Bald waren die Meinungen aber gemacht: Hinfahren, berichten, aber
Missständer ehrlich erwähnen, denn wir sind Journalisten, müssen
berichten, was ist. Tipp der Reisejournalisten: Auch wer auf Einladung
reist, darf kritisieren, den Veranstaltern reiche es, dass über ihr
Land geschrieben werde, sie erwarteten gar keine kritikfreien und
schönfärberischen Artikel.

   Darauf kam die Runde vom Thema ab und diskutierte lange, ob
Einladungen zu Gratis-Pressereisen überhaupt angenommen werden dürfen.
Ohne eine gemeinsame Meinung zu finden. Tipp der Reisejournalisten:
Hinfahren, aber im Artikel kurz deklarieren, dass die Reise auf
Einladung erfolgte.

   Auch bei der Frage, wie aus den chinesischen Sportstadien zu
berichten sei, in denen vielleicht noch vor kurzem Menschen
hingerichtet worden sind, gingen die Meinungen weit auseinander.
Reporter sans Frontières setzt nun einen Preis aus für kritische
Berichterstattung von Peking 2008.

Bilanz der spannenden Diskussion: Ein Journalist hat viel Verantwortung
und muss sie auch wahrnehmen – Verantwortung für die Leser, für sein
Medium, aber auch für die lokale Bevölkerung (manchmal ist es für diese
ja nicht erlaubt, sich nur schon auf Gespräche mit ausländischen
Presseleuten einzulassen – oder Journalisten bezahlen Einheimische, um
etwa TV-Kassetten zu schmuggeln), manchmal gar Verantwortung für die
Weltpolitik. Es kommt dabei nicht drauf an, ob einer politischer oder
Tourismus-Journalist ist – ins Dilemma komme alle. Alle waren sich aber
einig, dass solche Überlegungen der erste Schritte zu kritischeren
Artikeln seien und kritische Artikel, auch von den Olympischen Spielen,
ein erster Schritt, schlechte Zustände in fernen und nicht so fernen
Ländern zu verbessern. (pv.ch)