Bild: Anne Morgenstern

Was bei Stress im Alltag helfen kann

Remo Schraner erzählte an seinem Input-Referat im Karl der Grosse über Stress im Journalismus und wie man mit ihm umgehen kann.

Stress und Journalismus gehen Hand in Hand: Wenn es Neuigkeiten gibt, muss es schnell gehen. Jede Verzögerung kostet Nerven. Die Protagonisten sind nicht erreichbar, die Minuten ziehen ins Land. der Frontaufmacher ist immer noch leer.

«Stress passiert täglich, es ist die Frage, wie wir damit umgehen», sagt Remo Schraner gleich zu Beginn seines Inputreferats vom 12. September im Karl der Grosse in Zürich. Der Zürcher Presseverein hatte dazu eingeladen.

Schraner beschäftigt sich schon länger mit mentaler Gesundheit und Stressbewältigung im Journalismus, seit er sich 2018 wegen einer Depression in einer psychiatrischen Klinik behandlen liess. «Zuvor war ich ein sehr ambitionierter Journalist», sagte Schraner. Der damals 27-Jährige war bereits in Mainz, um ein Praktikum beim ZDF zu beginnen. «Es war ein Riesentraum.» Nebenbei hatte er noch als Reisejournalist gearbeitet und war im Militär zum Stabsoffizier aufgestiegen. Doch in Mainz sendete ihm sein Körper klare Signale: «Ich lag im Bett und bin eigentlich nicht mehr aufgestanden.» Selbst Zähneputzen und Duschen ging nicht mehr. Schliesslich musste ihn sein Vater abholen.

Eigentlich wollte Schraner danach nichts mehr mit dem «Haifischebecken» Journalismus zu tun haben. Doch nach einer rund einjährigen Pause begann er in seinem Blog Der Volpe über mentale Gesundheit zu schreiben. «Denn oft hat man in einer Depression das Gefühl, man sei alleine. Das stimmt aber nicht.»

Schraner landete bei 20 Minuten, wo er Hintergrundreportagen realisierte, oft auch über Menschen mit psychischen Problemen. Zudem war er Stellvertreter des Social-Responsability-Boards von 20 Minuten. Dieses beschäftigt sich mit der Frage, wie eine Redaktion über sensible Themen sozial verantwortlich schreiben kann. Sprich: Ohne Gefahr zu laufen, die Protagonisten zu retraumatisieren.

Mittlerweile unterrichtet Schraner angehende Journalistinnen und Journalisten an der ZHAW in Winterthur zu mentaler Gesundheit. Zwei Punkte sieht er bei der Stressbewältigung in Redaktionen als zentral an: Die eigenen Grenzen kennen und diese nach aussen kommunizieren zu können. Und: Einen Arbeitgeber zu haben, der diese Grenzen respektiert.

Doch Stress kann auch positiv sein. Während Schraners Vortrag werfen gleich mehrere Journalisten ein, dass Stress für einen Rausch, ja eine regelrechte Euphorie sorgen kann. Zudem ist Stress sehr subjektiv. Eine einheitliche Definition, was Stress genau ist, fehlt bis heute.  Schraner wollte deshalb 2022 von über 100 Berufskolleginnen und -kollegen wissen, wie sie mit Stress umgehen, wenn es zu viel wird.

Die Ergebnisse waren entsprechend vielfältig: Rauchen oder Kaffee trinken als emotionale Bewältigung kann einen sozialen Effekt haben. Anderen hilft ein kleiner Ball auf dem Tisch, den sie drücken können, um sich im Hier und Jetzt zu spüren. «Andere gaben an, ihr Gesicht zu waschen oder in eine Zitrone zu beissen», sagte Schraner während seines Vortrags. Oder: Eine Art Uniform zur Arbeit zu tragen, wie jene Person, die beruflich nur Hemden und privat nur Shirts trägt. Wiederum andere hören beim Schreiben gerne Mozart oder schreiben kurz vor Feierabend auf, was sie heute alles erlebt haben, um die Gedanken im Büro zurückzulassen.

Wichtig, so Schraner, sei eine exakte Kommunikation mit den Vorgesetzten, um Missverständnisse und damit Stress zu vermeiden. Auch Mentoren zu finden, sei ein Teil von Stressbewältigung, um sich in kritischen Situation vertrauensvoll austauschen zu können.

Um runterzufahren, gab Schraner weitere Tipps, die je nach Typ helfen können: Zuhause ablenken durch händiges Abwaschen oder ein Recherchekonto auf Social Media, um in der Freizeit nicht mit der Arbeit konfrontiert zu werden. Oder: der klassische Spaziergang, um runterzufahren.

«Es gibt aber auch jene, die kaum gestresst sind», warf Schraner ein. Die sogenannte Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit, bilde sich grundsätzlich bis etwa zum zehnten Altersjahr. «Wer bis dahin gute Vorbilder im Umgang mit Stress erlebt, geht später auch besser damit um.» Optimismus gebe ihm die jüngere Generation von Medienschaffenden, die offener über mentale Gesundheit rede.

Über all diesen Punkten schwebten natürlich die strukturellen Probleme der ausgedünnten Redaktionen. Nach einer knappen Stunde Vortrag entspann sich im Publikum deshalb eine grundsätzliche Diskussion über Sparrunden, Geschwindigkeit im Journalismus, Führung und Berufsstolz.