Vom Umgang mit der Wut der Leser

Online-Journalismus hat auch 2011 noch einen schlechten Ruf: Wenig Recherche, schludrig in den Details, und dann dürfen ja auch noch die Leser ihren Senf dazu geben. Und wie sie es tun!

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Peer Teuwsen von der „Zeit“ findet die durch die Kommentarfunktionen der Online-Medien in Gang gesetzten Aufregungsmechanismen unsäglich (siehe dazu das Interview im „Sonntag“):

Das Newsnetz vom Tagi zum Beispiel, dort ist diese Kommentarfunktion sehr mächtig geworden ist. Diese Kommentare werden nicht oder nur mangelhaft bewirtschaftet. Ich verstehe nicht, dass da keine Manpower von der Redaktion zur Verfügung gestellt wird, diese Kommentare zu lesen und wenn nötig zu intervenieren. Bei der „Zeit“ sind mindestens fünf Angestellte dafür zuständig, den Kommentierenden zurückzuschreiben und sie aufzufordern, sich zu mässigen und Kommentare, die daneben gehen auch zu entfernen. Ich glaube, es geht kein Weg daran vorbei, die Leser in dieser Hinsicht zu erziehen. Sonst artet das aus. Und das dient der inhaltlichen Auseinandersetzung nicht.

Und es artet erstaunlich oft aus. Denn bei den Kommentaren, die online zu lesen sind, handelt es sich um die von der Readaktion freigegebenen. Teuwsen weiss auch, wie das Problem zu lösen ist. Na klar, mit Manpower:

Mit dem Ausbau der Online-Redaktionen wird es zu einer Qualitätsbesserung kommen. Ein Teil davon wird bestimmt in die Bewirtschaftung der Leserwut investiert werden.

Auch wenn die NZZ-Online-Leserschaft vom Laien wohl nicht als die Krawalligste eingeschätzt wird, gilt das auch für diese. Darum sucht die Redaktion auch eine Verstärkung, die sich Vollzeit um die Community kümmert. Im Inserat heisst es:

Sie haben ein Gespür für Themen und Tendenzen in der Community von NZZ Online und können schnell darauf reagieren. Sie treffen den richtigen Ton, um motivierend und leitend in Debatten einzugreifen und deren Qualität zu gewährleisten.

Mit etwas weniger Ernsthaftigkeit könnte man das Inserat auch mit „Lesernanny (m/w) 100%“ oder „Briefkastenonkel (m/w) 100%“ übertiteln.

Das würde aber die Wichtigkeit und auch den Anspruch des Jobs schmälern. Es braucht dafür nämlich nicht nur Ausdauer und Belastbarkeit, sondern auch sehr viel Einfühlungsvermögen und psychologisches Geschick. Je besser man diesen Job macht, desto weniger gibt es zu tun. Ein guter Community-Manager schafft es nicht nur, die Anzahl und die Qualität der Kommentare zu steigern, er wird, wenn er die Rückmeldungen aufmerksam liest und einzuschätzen weiss, der Online-Redaktion neue Storys zuführen und andere wichtige Rückmeldungen geben.

Dass Online-Journalismus ist, wie er derzeit ist, hat ja vor allem damit zu tun, dass das Budget, das ihm gegenüber den Printprodukten zusteht, (lächerlich) klein ist. Wer Qualität online will, muss gute Leute einstellen und ihnen Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Und irgendwann lässt sich auch etwas Weisheit aus der Masse der Leser lösen. Bisher werden sie vor allem als Stimmungsbarometer missbraucht.