«Widmer-Schlumpf hat einfach nicht die ganze Wahrheit gesagt»

Ein Dokfilm von Hansjürg Zumstein auf SF über die Abwahl von Christoph Blocher aus der Landesregierung, setzte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf unter Druck. Wurde das neuste Bundesratsmitglied von der SVP deswegen doch als Lügnerin und Verräterin bezeichnet. Jetzt hat Widmer-Schlumpf gewisse Aussagen gegen ihre Person dementiert. SF-Journalist Hansjürg Zumstein sagt im Interview mit presseverein.ch wie überrascht er über den plötzlichen Rummel ist und wo der Fall nach wie vor Ungereimtheiten aufweist.

Hansjürg Zumstein, waren Sie sich bei der Produktion des Blocher-Dokfilms bewusst, dass der Nebenschauplatz Widmer-Schlumpf solch eine grosse Bedeutung erhalten würde?

Nein, ich bin vom Echo selber überrascht. Anfangs hiess es ja, der Film zeige wenig Neues. Erst die Politisierung durch die SVP hat diese Entwicklung ausgelöst

Können Sie die Kritik von Bundesrätin Widmer-Schlumpf nachvollziehen, dass Ihr Film ein falsches Bild der Ereignisse vermittle?

Ihre Sicht ist im Film leider nur teilweise enthalten – dies ist aber eine bewusste Entscheidung von Widmer-Schlumpf gewesen. Ich habe ihr mehrmals mündlich und schriftlich angeboten, zu den SP-Aussagen Stellung zu nehmen. Sie hat erklärt, sie habe am 13.12. alles gesagt. Die Aussagen vom 13.12 sind berücksichtigt. Insofern fällt diese Kritik auf Frau Widmer-Schlumpf selber zurück.

Denken Sie, dass Frau Widmer-Schlumpf gelogen hat?

Das Wort Lüge finde ich fehl am Platz. Sie hat einfach am 13.12. nicht die ganze Wahrheit gesagt. Zum „Gespräch vom Samstag“ nahm sie ja erst jetzt Stellung. Am 13.12. hat sie es nicht erwähnt, sondern die Kontakte auf den 20.11. und ein SMS vom Dienstagabend reduziert.

Sind Sie der Meinung, dass die Bundesrätin mit der SP und der CVP gemeinsame Sache gemacht hat?

Diese Frage beantworte ich bewusst nicht. Ich möchte es dem Publikum überlassen, die verschiedenen Aussagen zu interpretieren. Ich weise aber daraufhin, dass interessanterweise die Szene im Film, wo sie von der Wahl erfährt, öffentlich kaum kommentiert wird. Hier und auch in der nächsten Szene im Bahnhof wird deutlich, dass die Überraschung gross war. Wie gesagt: Dazu hätte ich sie gerne interviewt.

Können Sie die jüngsten Ausführungen der neuen Bundesrätin nachvollziehen oder sehen Sie da und dort noch immer Ungereimtheiten?

Es gibt nach wie vor Widersprüche (Zahl und Qualität der Kontakte): Herr Hämmerle hat vor zwei Wochen von vier Kontakten gesprochen – Widmer-Schlumpf spricht jetzt von drei.
Frau Wyss sagt, man sei nach dem 20.11. davon ausgegangen, dass man nicht weiter nach Alternativen suchen müsse. Frau Widmer-Schlumpf sah das anders – das ist im Film übrigens enthalten.
Auch bezüglich des Telefons mit Hämmerle vom Samstag, das Frau Widmer-Schlumpf nun erstmals zugegeben hat, bestehen noch offene Fragen. Frau Widmer-Schlumpf bezeichnet es als reines Infogespräch. Nationalrat Hämmerle jedoch hat der Südostschweiz erklärt, das Gespräch habe 20 Minuten gedauert. Zudem soll laut Le Temps bei diesem Gespräch Vertraulichkeit vereinbart worden sein. Es stellt sich jetzt die Frage, weshalb ein reines Infogespräch vertraulich sein muss. Hier gibt es also noch einiges zu recherchieren.

Würden Sie den Film nach diesem Wirbel noch einmal gleich machen? Oder würden Sie die Produktion des Doks heute anders anpacken?

Ich würde alles gleich machen, ausser die Handyszene. Dort würde ich leicht anders texten. Statt: „Sie hat das Handy übergeben….“ würde ich texten: „Sie hatte das Handy bereits vorher übergeben.“ Ich habe hier die Symbolkraft der Bilder unterschätzt.
Für den Rest: Wenn es Ärger gibt, wird immer auf den Journalisten herumgehackt. Letzten Montag sagte mir Darbellay im Parlament noch, er sei zufrieden, er habe den Film zwar noch nicht gesehen, aber nur begeisterte Reaktionen gehört. Dann wurde der Film von der SVP politisiert, und jetzt sagt Darbellay, der Film sei realitätsverzerrend. Darbellay hat übrigens seine Aussagen vor der Ausstrahlung genehmigt. Aber wir Journalisten sollten uns ja nicht von Wirbel und Ärger abhalten lassen, kritische Fragen zu stellen.
Im übrigen ist der Film sehr viel differenzierter als jetzt in der Sonntagspresse dargestellt. Die verschiedenen Ereignisse werden über 50 Minuten lang ausführlich analysiert und von den Protagonisten kommentiert. Ich finde auch die Auswahl der Protagonisten gelungen: Ursula Wyss war für viele Zuschauer die Entdeckung. Die Zeitung Südostschweiz schreibt in einem Kommentar gar von „einer brillanten Ursula Wyss“. Christophe Darbellay will zwar nicht alle Geheimnisse verraten, aber nimmt Stellung. Und schliesslich Ueli Maurer, der Widmer-Schlumpf seit Jahren persönlich kennt und jetzt natürlich enttäuscht ist.

(pv.ch)

                  
Hansjürg Zumstein arbeitet seit 1989 beim Schweizer Fernsehen, zuerst beim Kassensturz, danach bei 10vor10 dann bei der Rundschau. Er publizierte 1995 einen Dokumentarfilm über den Aufstieg des European Kings Clubs, eines Schneeballsystems, das in der Urschweiz enormen Zulauf hatte. 1997 folgte ein längerer Film über Schweizer Fluchthelfer im Zweiten Weltkrieg. (Bild:sf.tv)