Wie das ist mit dem Online-„Journalismus“

Das Jahrbuch „Qualität der Medien“ 2010 ist da.

Qualität der Medien

Viel Lesestoff liefert die Stiftung Öffentlichkeit und Gesellschaft, die nach 2009 auch 2010 ein Jahrbuch zur Qualität der Schweizer Medien herausgegeben hat. Man kann es sich auf Papier bestellen, hier für 78 bzw. 98 Franken (ISBN 978-3-7965-2688-6).

Jahrbuch “Qualität der Medien” 2010 (foeg.uzh.ch)

Dass die Qualität der Medien durch die ständigen Restrukturierungen abnimmt, kann niemand überraschen. Wohl aber etwas überrascht war ich, dass Weblogs oder soziale Medien, die ich im Kapitel V: Online unter Punkt 2.1: Vielfalt vermutet hätte, mit keinem Wort erwähnt sind. Stattdessen widmet sich das Kapitel fast ausschliesslich den Online-Produkten der Zürcher Printverlage. Ist das nicht erstaunlich bei den vielen Websites, die publizistische Inhalte anbieten? Einverstanden, es handelt sich bei einem guten Teil von ihnen nicht um Journalismus.

Bei den behandelten Online-Portalen aber eben auch nicht so richtig, wie ein Blick in die Hauptbefunde zum Thema Online zeigt:

In den Newssites der Boulevardmedien dominiert die Sport- sowie die Human Interest-Berichterstattung über Unfälle, Verbrechen und lebensweltliche Kuriositäten. Politische und wirtschaftliche Themenbereiche werden dagegen vernachlässigt, ausser sie eignen sich zur Personalisierung, Dramatisierung oder Skandalisierung.

Festgestellt werden „tiefe Qualitätsstandards im Onlinesegment“ und eine daraus resultierende „Gefahr eines negativen Reputationstransfers auf die Mutterblätter“. Das habe zu tun mit den unter enormen Aktualitätsdruck stehenen, „finanziell und personell schlecht ausgestatteten Onlineredaktionen“:

Doppelzeichnungen von minimal abgeänderten, «aufgepeppten» Agenturbeiträgen sowie die Rezyklierung vorgefertigter Inhalte prägen die Arbeitskultur.

Weil Hintergrundinformationen Mangelware seien, kämen „längerfristige politische und wirtschaftliche Zusammenhänge“ zu kurz:

Nutzer, die die Welt über die Newssites wahrnehmen, erhalten kaum einordnende Erklärungsmuster für den rasend erscheinenden Verlauf der Dinge.

Was die Verlage online anbieten, kann man also nur mit gutem Willen als Journalismus bezeichnen. Womit sie sich vom restlichen Angebot online kaum merklich abheben.

Kommen wir zurück zur allgemeinen Lage: „Fundamentale Umwälzungen“ spielen sich ab. Ein „Transformationsprozess“ wurde vom Aufkommen des Internets, der Selbstkannibalisierung und der Werbekrise ausgelöst, worauf alle Mediengattungen „mit billigerer Information“, also Softnews und weniger Auslandsberichterstattung, reagierten.

Weitere Stimmen:

„Düstere Perspektiven für die Medien-Schweiz“ (nzz.ch, Rainer Stadler)
„Schlechtes Zeugnis für Schweizer Medien“ (tagesanzeiger.ch, rb/sda)
„Studie: Gratiskultur mindert Medienqualität“ (blick.ch)
„Schelte für Pendlerzeitungen und Online-Portale“ (sf.tv, Video, 1:42 Minuten)
Lebrument wehrt sich (sf.tv, Video, 30 Sekunden)
„Herr Imhof ist ein Nostalgiker“ (arlesheimreloaded.ch, Manfred Messmer)
„Die Verlage verpennen die Neuzeit“ (arlesheimreloaded.ch, Manfred Messmer)
„Jahrbuch 2010 zur Qualität der Schweizer Medien“ (medienspiegel.ch, Martin Hitz)
„Gratiskultur bedroht die Demokratie“ (persoenlich.com, sda)
„Qualitätsverlust der Medien belastet Demokratie“ (werbewoche.ch)