Unabhängige Theaterkritik, vorausbezahlt

Kritiken über Aufführungen von Theater, Tanz und Performance erscheinen nicht mehr so oft wie auch schon in den Tages- und Wochenzeitungen. Theaterkritik.ch will diese Lücke mit einem ungewöhnlichen Modell schliessen.

Theaterkritik

Es ist eine nicht alltägliche, aber gar nicht mal schlechte Idee, die Theaterkritik.ch zugrunde liegt. Die Theaterhäuser selbst, die ja ein Interesse haben an Medienaufmerksamkeit für ihre Stücke, sollen ihre Kritiker gleich selbst bezahlen. Funktionieren soll das nach diesem, gut erklärten Modell:

* Eine Theatergruppe/ein Veranstalter meldet ihre/seine Premiere bis spätestens 1 Monat vor der Premiere mittels Online-Formular bei der Redaktion an.
* Die Redaktion bestätigt die Anmeldung.
* Sobald die Anmeldung eingetroffen ist, werden zwei KritikerInnen bestimmt.
* Der Beitrag von CHF 600.- muss bis spätestens zwei Wochen vor der Premiere einbezahlt sein, damit verbindlich geplant werden kann.
* Die Gruppe/der Veranstalter schickt eine Projektbeschreibung zur Produktion an die Redaktion zum Hochschalten.
* Die Theatergruppe/der Veranstalter reserviert je eine Freikarte für die beiden KritikerInnen.
* Die beiden KritikerInnen besuchen die Premiere des Stückes oder eine darauffolgende Vorstellung.
* Die beiden KritikerInnen schreiben je eine Aufführungsbesprechung à 2500 bis maximal 4000 Zeichen.
* Bis um 12.00 Uhr des Folgetags schicken die beiden KritikerInnen ihre Aufführungsbesprechungen als Word-Dokument per E-Mail an die Redaktionsstelle.
* Die Redaktionsstelle nimmt die Texte in Empfang und redigiert sie.
* Ab 14.00 Uhr sind die Besprechungen neben den bereits aufgeschalteten Gruppeninformationen auf theaterkritik.ch veröffentlicht.
* Die KritikerInnen erhalten ihr Honorar nach Abgabe der Texte.

Nur beim letzten Punkt fragt man sich: Und wie viel landen bei den einzelnen Kritikern? Je 300 Franken oder eher weniger? Brutto, netto? Aber das ist ja Sache der Teilnehmer.

Das Geschäftsmodell hat natürlich auch Mängel:

Erstens zahlt das Haus, das ein Interesse an der Kritik hat (also die Theater). Stellen wir uns das mal im Wirtschaftsressort vor: Die UBS hat ein neues Finanzprodukt am Start und zahlt zwei Kritikern im Voraus 600 Franken, damit sie darüber schreiben. Problematisch oder nicht?

Zweitens sind viele Theater in der Schweiz subventioniert. Wenn sich nun ein subventioniertes Theater an diesem Geschäftsmodell beteilgt, ist das dann eine Art öffentlich-rechtlicher Kulturjournalismus im Netz? Zahlt der Steuerzahler also nicht nur die Theater, die er so selten besucht, sondern auch noch die kritische Auseinandersetzung damit?

Negativ ist die Umsetzung auf der Website: Kein RSS, keine Anbindung an Soziale Medien, keine verlinkbaren Permalinks, keine Kommentarmöglichkeit. Da gäbe es einiges zu lernen von anderen Websites, zum Beispiel von Nachtkritik.de. Im Prinzip sind die gleichen Kritikpunkte zu bemängeln wie bei der im Frühling vorgestellten Website „Literatur & Kunst“. Auch diese Website hat gute Chancen, vom Publikum sofort wieder vergessen zu werden.

Positiv ist auf jeden Fall die doch sehr innovative Idee. Dass etwas gewagt wird online im Kulturjournalismus. Und natürlich die Dreisprachigkeit des Portals. In diesem Sinne: Guten Start!

  1. @Ingrid Isermann: Danke für Ihren Kommentar. Mir geht es eigentlich nie darum, miesepetrig rumzumeckern, sondern darum, auch kritisch über neue Websites von Journalisten zu schreiben und verbesserungswürdige Punkte festzustellen und zu benennen. Ich freue mich mit Ihnen über Ihre bisherigen Erfolge. Wer weiss, wie erfolgreich Ihre Website wäre, wenn sie sich dem Publikum weiter öffnen würde?

  2. literaturundkunst.net, seit März online, hatte seither 320’000 Zugriffe und erfreut sich mit den Kulturpartnern DU und ZEIT steigender Beliebtheit. User wissen selbst, wen und was sie lesen, und warum… Ingrid Isermann, Herausgeberin Literatur & Kunst.

  3. literaturundkunst.net, seit März online, konnte seither 320’000 Zugriffe verzeichnen und erfreut sich mit den Kulturpartnern DU und ZEIT steigender Beliebtheit. Die Userinnen und User wissen selbst, was und wen sie lesen wollen… Vergessen gehen solch miesepetrigen Pseudo-Prognosen. Ingrid Isermann, Herausgeberin Literatur & Kunst

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